Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Anorianer neben und hinter ihm. In nahezu jedem Gesicht sah er den gleichen Ausdruck, dieselbe Mischung aus Unglauben, Todesangst, blindem Fatalismus und einer fernen, vorsichtigen Hoffnung, dass letztendlich alles gut werden würde. Und gleichzeitig hörte er das Stampfen Tausender Füße, als das brochonische Heer vor den Toren Askanas in Stellung ging.
Unruhig sah sich François noch einmal genauer um. Ein Stück entfernt entdeckte er Logis, der, im Weiß und Silber seines Clans deutlich zu erkennen, auf und ab lief und ein paar letzte Befehle erteilte. Von Julius jedoch fehlte bisher jede Spur. Dann zog eine Bewegung neben ihm seine Aufmerksamkeit auf sich und er bemerkte, dass Arthenius wie aus dem Nichts neben ihm aufgetaucht war.
„Ist alles in Ordnung?“
Arthenius runzelte die Stirn und sah ihn verständnislos an: „Sicher. Warum?“
François zuckte mit den Schultern und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Menschen in seiner Umgebung zu.
„Ich war nur überrascht, dich hier zu sehen“, sagte er schließlich, ohne Arthenius anzusehen, „was hast du vor?“
Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte François, wie er die Zähne zusammenbiss und seine Hand auf den Griff seines Schwertes legte. Dabei wurde sein Gesichtsausdruck hart, entschlossen und vollkommen resigniert.
„Das Gleiche wie du“, Arthenius’ Stimme klang bei diesen Worten ungewohnt kalt, die gleiche eisige, gefühllose Kälte, die für Larenia so charakteristisch war und die François nie zuvor bei ihm gehört hatte, „ich dachte, das sei offensichtlich“, bei diesen Worten schlossen sich seine Finger so fest um den Schwertgriff, dass die Knöchel seiner rechten Hand weiß hervortraten, und der Blick seiner sanften grauen Augen wirkte wild und verzweifelt. Einen Moment lang suchte François vergeblich nach einer Antwort, schließlich aber gab er es auf. Er sah Arthenius nur einen Augenblick lang intensiv und forschend an, bevor er seufzend den Blick abwandte.
Plötzlich wurden sie von den Menschen auf ihrer linken Seite angerempelt, als die Anorianer zur Seite wichen. Erstaunt drehte sich François um und versuchte zu erkennen, was diesen Aufruhr verursacht hatte. Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um über die Köpfe der Menge hinwegsehen zu können. Und dann erblickte er Julius.
Langsam und würdevoll schritt der junge König, dicht gefolgt von Dalinius und Raphael, über den jetzt totenstillen Platz. Im strahlenden Morgenlicht glitzerte der goldene Stirnreif in seinem dunklen Haar und in seinem dunkelblauen Mantel sah er sehr hoheitsvoll und erhaben aus, ein jüngeres Abbild seines Vaters, und für kurze Zeit schöpften die verängstigten Menschen neue Hoffnung. Dann erreichte Julius die andere Seite des Platzes und traf im Schatten der Stadtmauer auf Logis. Hinter ihm schloss sich die Gasse in der Menschenmenge wieder und Furcht und Zweifel ergriffen erneut die Anorianer.
Julius blieb nur kurz stehen, um ein paar Worte mit dem Arianer-Fürsten zu wechseln, dann ging er weiter auf einen verborgenen Treppenaufgang zu, der auf die Wehrmauer hinaufführte. Dalinius und Raffi wollten ihm folgen, doch Julius hielt sie mit einer knappen Handbewegung zurück.
Arthenius trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, während er beobachtete, wie der junge Mann die Treppe hinaufstieg und schließlich auf der Mauer, weithin sichtbar und ein leichtes Ziel für jeden, stehen blieb.
„Ist Julius jetzt endgültig wahnsinnig geworden?“, murmelte der Kandari, die Augen noch immer starr auf den König Anorias gerichtet.
„Ganz im Gegenteil“, François lächelte über Arthenius’ verständnislosen Blick, „Philipe hat geschworen, dass ihm keine Gefahr droht.“
Arthenius runzelte die Stirn und blickte wieder zu Julius hinauf, doch er antwortete nicht, denn in diesem Augenblick begann Julius, zu sprechen.
„Menschen von Anoria!“, sagte er mit weithin hallender Stimme, dann unterbrach er sich und blickte über die Mauerbrüstung hinweg auf das brochonische Heer hinab, das sich vor den Toren versammelt hatte, bevor er sich wieder an sein Volk wandte, „Bewohner dieser Welt! Heute erheben wir ein letztes Mal unsere Schwerter, um unsere Heimat zu verteidigen und jene zu beschützen, die wir lieben“, vollkommene Stille legte sich über die Stadt, während er sprach. Beinahe schien es, als würde jeder einzelne der versammelten Menschen die Luft anhalten. Jetzt glitt ein weiches Lächeln über sein Gesicht, als seine
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