Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
der Klinge seines Schwertes klebte Blut, er selbst jedoch schien unverletzt zu sein. Seine Augen funkelten aufgeregt und wäre das nicht vollkommen unmöglich gewesen, hätte Norvan geglaubt, er würde sich gut amüsieren.
„Es ist beinahe so weit“, Pierre sprach ruhig und entschlossen, doch da war etwas in seiner Stimme, das keinen Widerspruch duldete, „bist du bereit?“
Norvan nickte und schüttelte beinahe im gleichen Augenblick den Kopf: „Es ist noch zu früh. Wir warten auf Silvanos Zeichen“, er warf einen weiteren, nervösen Blick auf die Druiden, „wo ist Collyn?“
„Er heizt den Kampf weiter an. Aber keine Sorge, er wird uns im richtigen Moment den Weg freiräumen“, trotz seiner zuversichtlichen Worte, verdunkelte sich für einen Augenblick der Gesichtsausdruck des Kandari. Voller Sorge blickte er auf die Mauern von Askana und zum immer finsterer werdenden Himmel, an dem sich die Wolken schwarz und bedrohlich auftürmten. Ein Blitz zuckte auf und tauchte die Stadt für den Bruchteil eines Augenblickes in sein grelles Licht. Als er sich wieder zu Norvan umdrehte, stand Silvano neben dem blonden Brochonier.
„Kommt“, seine Stimme zitterte unmerklich, „es geht los.“
Larenia stand bewegungslos auf der Aussichtsplattform des Turmes, eingehüllt in blendend helles Licht und ohne die bedrohliche Wolkenfront oder die immer näher kommenden Blitze zu sehen. Sie hatte die brochonischen Druiden gefunden. Das war einfach gewesen. Es hatten sich mehr als hundert von ihnen vor den Toren der Stadt versammelt und niemandem mit einem Funken telepathischer Begabung konnte diese Ansammlung geballter Macht entgehen. Und sie waren stark, unglaublich stark, aber Larenias Kräften konnten sie dennoch nichts entgegensetzen. In diesem Moment hätte sie die ganze Welt vernichten können. Reine Energie floss durch ihren Körper und überflutete ihr Bewusstsein. Es war berauschend, dieses Gefühl absoluter Macht, und für kurze Zeit verlor sie ihr Ziel aus den Augen. Nur die brochonischen Druiden zu vernichten erschien beinahe zu einfach. Sie konnte so viel mehr vollbringen. Warum sie nur töten, wenn die Brochonier unzähligen Menschen so viel Leid zugefügt hatten? Warum sollte sie ihnen nicht zeigen, was Schmerz wirklich bedeutete?
Doch noch während sie das dachte, kehrten andere, halb verdrängte Erinnerungen zurück. Der vertrauensvolle Blick des kleinen Mädchens aus Magiara, Arthenius’ bedingungslose Liebe und die Hoffnung der Menschen und Kandari, deren Schicksal sie in diesem Augenblick in den Händen hielt. Langsam klärten sich ihre Gedanken und der Augenblick des Wahns verging. Sie suchte keine Rache und sie wollte keinen unnötigen Schmerz verursachen.
Die brochonischen Druiden bündelten ihre Kraft, um sie anzugreifen, und Larenia wusste, dass sie schnell handeln musste. Sie sammelte alle Energie, die ihr zur Verfügung stand, und konzentrierte sie auf die Brochonier. Der Schutzschild der Druiden zerbrach, wie dünnes Glas, und ihr gemeinsames Bewusstsein zersplitterte. Allein hatten die Druiden keine Möglichkeit, sich vor Larenias geballter Macht zu schützen. Sie starben, einer nach dem anderen, manche stürzten zu Boden wie vom Blitz getroffen, andere klammerten sich an ihr Leben, doch auch sie hatten keine Chance und ihr Bewusstsein erlosch schnell und lautlos.
Und plötzlich war Larenia allein inmitten des tobenden Sturmes mit ihren entfesselten, alles vernichtenden Kräften. Sie hatte die Naturgewalten heraufbeschworen und sie würden weiter wüten und alles vernichten, wenn sie nicht schnell ein neues Ziel fand.
Hoch konzentriert und mit geschlossenen Augen stand sie da. Der Wind zerrte an ihrem Haar, doch sie fühlte es nicht mehr. Mit aller Kraft kämpfte sie darum, ihre Fähigkeiten zu kontrollieren, sie gegen sich selbst zu richten. Und dann gelang es ihr, den Fluss der Energie umzukehren. Der Schmerz und die sengende Hitze raubten ihr beinahe das Bewusstsein und ihre Gedanken begannen, sich zu verwirren. Sie öffnete die Augen, doch sie konnte nur noch verschwommen sehen. Auch das Rauschen des Windes und das immer näher kommende Donnergrollen konnte sie nicht mehr hören …
Aber sie durfte das Bewusstsein nicht verlieren, noch nicht. Schützend hob sie die Arme vor ihr Gesicht und gleichzeitig versuchte sie, den Nebel, der ihr Denken einhüllte, zurückzudrängen.
Plötzlich glaubte sie, Schritte hinter sich zu hören und Stimmen, obwohl sie die Worte nicht verstehen
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