Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
verbissen, verzweifelt, doch den Brochoniern hatten sie nichts entgegenzusetzen. Jemand, wahrscheinlich Felicius, hatte es geschafft, eines ihrer Schiffe in Brand zu setzen und so zu versenken, aber die Übermacht war erdrückend.
Bis zum Mittag schafften es die Verteidiger, die Kampfhandlungen auf den Hafen zu begrenzen, aber sie waren einfach zu wenige. Am frühen Nachmittag fanden im gesamten unteren Ring der Stadt Straßenkämpfe statt. Trotzdem war selbst diese kurze Verzögerung ein Sieg, denn so hatten sich die Frauen und Kinder, die sich noch immer in Arida befanden, hinter die Palastmauern retten können. Bei Sonnenuntergang schließlich kam der Angriff ins Stocken und die Anorianer zogen sich in den zweiten Ring zurück. Sie stellten eine Nachtwache auf und Pierre und Logis kehrten in den Palast zurück. Geschützt durch die Stadtmauer hatten sie gute Chancen, ihre Stellung selbst mit einer derart erbärmlichen Armee halten zu können.
„Pierre, setz dich hin!“
Seitdem er zum Schloss zurückgekehrt war, lief Pierre ruhelos auf und ab. Auch jetzt warf er Felicius nur einen strafenden Blick zu, bevor er seine Wanderung fortsetzte.
„Du hilfst niemandem, am wenigsten den Menschen hier, wenn du morgen vollkommen erschöpft bist.“
„Falls du es noch nicht bemerkt hast: Es steht schlecht um Arida. Wir werden die Stadt keine zwei Tage mehr halten können.“
Felicius seufzte, antwortete aber nicht. Er war zu müde zum Streiten. Den ganzen Tag lang hatte er Verletzte eingesammelt und Wunden geheilt.
„Bitte hör mit dem Gerenne auf“, Philipus, der bis jetzt schweigend in einer Ecke gesessen hatte, fuhr gereizt auf, „du machst mich nervös.“
„Nervös!“ Pierre starrte ihn wütend an. „Da draußen tobt ein Krieg und du sitzt hier und bist nervös! Warum tut ihr nichts?“
„Nichts! Denkst du, das Schiff ist von allein untergegangen? Wie viele wären gestorben, wenn Felicius nicht ununterbrochen gearbeitet hätte?“, Philipus holte tief Luft. Als er schließlich weitersprach, klang seine Stimme kühl und gefasst wie gewöhnlich: „Wir haben getan, was wir konnten. Doch die Brochonier mit Magie anzugreifen ist etwa so, als würde man gegen eine Steinmauer rennen.“
In diesem Augenblick taumelte Arthenius auf sie zu. Mit leerem Blick und sonderbar starrem Gesichtsausdruck sah er an ihnen vorbei: „Zweihundert Anorianer sind tot oder schwer verletzt. Zweihundert! Trotz allem, was wir getan haben.“
„Verdammt“, Pierre trat gegen den nächstbesten Gegenstand, „verdammt!“
Im Sturmschritt verließ er den Palast. Philipe, der bis jetzt unbemerkt dagesessen hatte, sprang auf und wollte ihm nachlaufen. Aber Philipus hielt ihn zurück: „Lass ihn. Er hat ja recht. Es ist eine Katastrophe.“
Die Nacht verging still und ereignislos in gedrückter Stimmung. François übernahm die Nachtwache, doch lange vor Tagesanbruch war auch Pierre wieder auf der Mauer zu finden. Dann dämmerte der Morgen. Mit dem ersten Sonnenlicht begann die nächste Angriffswelle.
Aber der Kampfgeist der Anorianer war erloschen. Sie hatten Freunde und Verwandte sterben sehen. Sie hatten ihrem eigenen Schicksal ins Gesicht geblickt und jetzt, im Angesicht des Todes, verzagten sie. Manch einer warf seine Waffen fort und bettelte um Gnade, die Brochonier jedoch kannten kein Erbarmen.
Plötzlich flammte Feuer auf. Und kurz darauf brannte der ganze untere Ring der Stadt. Hitze, Asche und Rauch machten das Atmen beinahe unmöglich. Zwar erschien das Feuer im ersten Augenblick wie ein Segen, denn es war eine Barriere zwischen den Brochoniern und den Verteidigern. Doch gleichzeitig schnitt es den Anorianern jeden Fluchtweg ab. Sie waren gefangen. Ohne Vorräte, abgeschnitten von jeder Hilfe und ohne eine Möglichkeit zu entkommen.
Am späten Nachmittag versammelten sich Logis und die Gildemitglieder im Thronsaal. Julien saß in voller Rüstung auf seinem Thron und im Hintergrund liefen eilig Soldaten der königlichen Garde hin und her.
„Was soll jetzt geschehen, meine Freunde?“, fragte Julien seine Ratgeber. „Durch das Feuer ist uns jeder Fluchtweg abgeschnitten. Wir können die Brochonier nicht zurückschlagen. Und wenn wir hier sitzen und abwarten, werde ich bald kapitulieren müssen, um jene zu retten, die noch in Arida sind. Aber damit wäre für uns nicht nur die Stadt, sondern auch der Krieg verloren.“
Niemand antwortete. Weder Logis mit seinem scharfen Verstand noch die Gilde mit all ihrem
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