Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
hatte, „oder zweifelst du an meinen Fähigkeiten?“
Der andere beeilte sich zu versichern, dass dem nicht so war. Nun, endlich, ließ der Brochonier sie los. Zögernd drehte sie sich um. Der Mann, der zuerst gesprochen hatte, war groß und schlank und auf erschreckende Weise bedrohlich. Der blutig rote Mantel, den er trug, verstärkte diesen Eindruck noch. Und obwohl er finster und grausam wirkte, erinnerte er sie entfernt an die Gilde der Zauberer. Die gleiche Aura der Macht. Die gleiche Kälte. Sein Begleiter war ein Krieger, doch obwohl er schwer bewaffnet war, bestand kein Zweifel, wer von ihnen gefährlicher war.
„Nun, meine Königin“, er betonte diese Worte, sodass sie einer Beleidigung gleichkamen, „was habt Ihr mir zu sagen?“
Patricia zögerte. Sie dachte an ihre ersten Jahre mit Julien. Damals hätten sie vielleicht glücklich werden können. Und sie dachte an die Gilde. Einst hatte auch sie die Elfen bewundert. Und dann hatten sie ihr Leben zerstört.
Nein, für sie gab es kein Zurück.
Die nächsten sieben Tage vergingen in Arida in einem Rausch aus Müdigkeit, Verzweiflung und Entsetzen. Die Menschen taumelten durch die Straßen oder führten die Arbeiten aus, die man ihnen zugewiesen hatte, ohne wirklich zu wissen, was sie da taten. Sie kamen sich vor wie Menschen, die in einem Traum gefangen waren. Doch aus der friedlichen Illusion war ein Albtraum geworden, aus dem es kein Erwachen gab.
Die Mauern waren inzwischen verstärkt und jeder, egal ob Mann, Frau oder Kind, der noch in der Stadt war, war mit Waffen ausgerüstet. Pierre hatte es tatsächlich geschafft, einen Verteidigungsplan zu erstellen. Doch noch war so vieles ungewiss und auch aus Navalia hatten sie seit einigen Tagen keine Nachricht mehr erhalten. Die Schiffe, die sie in Auftrag gegeben hatten und die ein fester Bestandteil von Pierres Plan waren, waren noch nicht angekommen.
Sie hatten alles getan, was in der kurzen Zeit möglich war. Nun konnten sie nur noch warten und gegen die Verzweiflung ankämpfen.
Julien hatte sich letztendlich aus seiner Lethargie befreit. Zusammen mit Logis inspizierte er jeden Tag die Fortschritte seiner Armee. Obwohl er die Organisation noch immer der Gilde überließ, hatte er doch für jeden ein aufmunterndes Lächeln oder ein paar tröstende Worte übrig.
Inzwischen war Panik zur Normalität geworden und jeder lebte in einem Zustand ständigen Entsetzens. Und obwohl die Todesangst beinahe greifbar in der Luft lag, der Schock nichts von seiner lähmenden Wirkung verloren hatte, schien die eigentliche Bedrohung an Substanz zu verlieren. Das Warten auf ein Ereignis, das alles verändern, manche sogar das Leben kosten würde, war zermürbend, aber niemand in Arida war fähig, sich die Schlacht vorzustellen.
Am Morgen des dreizehnten Tages des fünften Monats jedoch wurde Furcht zu Gewissheit.
„Schiffe!“
Im ersten grauen Morgenlicht kam Pierre über den Schlosshof gesprintet. Er sah François auf der Freitreppe stehen und verlangsamte seinen Schritt.
„Brochonische Schiffe!“, wiederholte er und blieb keuchend stehen. Das Lächeln, das sich bei Pierres Anblick auf François’ Gesichte breitmachte, erlosch schlagartig: „Wo?“
„Magiara“, Pierre schnappte nach Luft. „Sie wurden vor der Küste gesichtet. Arthenius kam noch vor Tagesanbruch mit dieser Nachricht nach Arida.“
„Dann haben wir noch ein oder zwei Tage Zeit.“
François wusste nicht, ob er erleichtert oder besorgt sein sollte. Bei Pierres Auftritt hatte er geglaubt, die Brochonier würden schon vor der Stadtmauer stehen. Doch jede Erleichterung, die er empfinden mochte, erstarb bei Pierres nächsten Worten.
„Es sind fünf oder sechs voll besetzte Schiffe, schwer bewaffnet“, Pierre wandte sich um und sah auf die langsam erwachende Stadt herab, „François, Zeit wird uns nicht retten.“
Mit lang geübter Geschwindigkeit bezwang François seinen Schrecken.
„Wo ist Arthenius?“
„Beim König. Philipe ist bei ihm. Philipus ist zusammen mit Logis unten am Hafen. Und ja, sie wissen es schon.“
„Gut. Und Felicius?“
Pierre zuckte mit den Schultern. Sie hatten seit Tagen kaum etwas von Felicius gesehen. Er war in Arida, doch er schaffte es, unsichtbar zu bleiben.
„Ich werde ihn suchen.“
„Nein! Deine Aufgabe ist die Verteidigung, Pierre. Ich werde ihn suchen.“
Pierre widersprach nicht. Wenn es jemanden gab, den er nicht verstand, so war es Felicius. Und er begriff nicht, welche
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