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Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Kandari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tracy Schoch
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schloss die Tür hinter sich. Endlich war Norvan mit dem Gefangenen allein.
    Er hob die Fackel und sah sich um. Auf den ersten Blick war niemand zu sehen. Doch dann blickte Norvan hinter sich und erschrak.
    Hinter ihm lehnte Pierre an der Wand und knapp über seiner Handfläche schwebte eine Feuerkugel. Doch das war es nicht, was Norvan so erschreckte. Er hatte Pierre gesehen, als ihn die Soldaten aus Anoria mitgebracht hatten. Die Erinnerung an den großen, kräftigen, gut aussehenden Elfen ließ sich kaum mit dieser gequälten Kreatur, der er nun gegenüberstand, vereinbaren. Die Gesichtszüge waren verquollen und kaum noch erkennbar, die Lippen waren aufgesprungen und seine ursprüngliche Haarfarbe kaum noch erkennbar. Pierre konnte sich nicht einmal mehr aus eigener Kraft auf den Beinen halten, auch jetzt drohte er das Gleichgewicht zu verlieren. Seine linke Hand schien gebrochen zu sein und die Haut seiner rechten Handfläche war verbrannt. Aber auch das allein hätte Norvan nicht derart entsetzen können. Er hatte schon oft die Ergebnisse der Folterkünste der Druiden gesehen. Vielmehr war es der Ausdruck in den Augen des Elfen. Es war der gehetzte Blick eines gejagten Tieres, furchtsam und unstet. Doch sein Wille war noch immer ungebrochen. Wild und entschlossen, in dem Bewusstsein, dass seine Tage gezählt waren, sah er den Brochonier an.
    „Ich würde das nicht tun“, Norvan hob abwehrend die Hände, „ich bin nicht dein Feind. Ich möchte nur mit dir sprechen.“
    „Warum sollte ich dir glauben, Brochonier?“, das Sprechen fiel Pierre sichtlich schwer. Seine Stimme war kaum mehr als ein mühsames Krächzen und die Worte kamen ihm nur schleppend über die Lippen. Dennoch schien er zu begreifen, dass Norvan keine unmittelbare Gefahr darstellte. Er ließ sich zu Boden sinken und blieb schwer atmend sitzen. Die Feuerkugel, die weiter über seiner Handfläche schwebte, flackerte noch einmal auf und erlosch. Nun wurde der winzige Raum allein von Norvans Fackel erhellt.
    „Wir haben die gleichen Feinde und ein gemeinsames Ziel. Wir werden dir helfen und dafür hilfst du uns.“
    Nach wie vor misstrauisch musterte Pierre den Brochonier. Das Gesicht und das blonde Haar kamen ihm vage bekannt vor, auch wenn er sich nicht mehr erinnern konnte, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Er schloss die Augen: „Dies ist nur eine weitere Täuschung“, murmelte er leise, „nichts als eine Illusion.“
    „Nein. Dies ist die Wirklichkeit“, Norvan kniete sich neben ihn, „mein Name ist Norvan. Ich arbeite für die Untergrundbewegung. Wir werden versuchen, dich zu befreien. Hörst du mich?“
    „Ja. Ich bin ja schließlich nicht taub“, mit einer unglaublichen Kraftanstrengung hob Pierre den Kopf und sah den Brochonier an, „also hatte Larenia recht. Ich habe schon nicht mehr daran geglaubt“, diese Worte galten nicht seinem Gegenüber. Er war noch immer skeptisch, doch sein Blick wirkte jetzt wach und aufmerksam: „Wie wollt ihr das anstellen?“
    „Das werde ich dir nicht erzählen. Umso weniger du weißt, desto besser für uns. Aber sei bereit. In sieben Tagen werden wir es versuchen.“
    „Sieben Tage! In sieben Tagen wird kaum noch genug von mir übrig sein, das es zu retten lohnt“, aber dann verzog Pierre die Lippen zu einem sarkastischen Lächeln, „doch alles ist besser als das hier. Sei es die Freiheit oder ein schneller, sauberer Tod. Und das wird wahrscheinlich das Einzige sein, was wir finden werden.“
     
    „Mein König, Novénia ist fast vergangen und die Zeit der Herbststürme steht kurz bevor. Und noch immer sind die Felder nicht vollständig abgeerntet“, Dalinius, der oberste von Juliens Ratgebern, trat aus der Reihe der Höflinge vor den Thron und verharrte dort mit gesenktem Kopf. Seitdem er Patricia verurteilt hatte, überließ Julien den Großteil der Regierung seinen Beratern und der Gilde. Er selbst starrte geistesabwesend und selbstvergessen vor sich hin, ohne sich um sein Volk zu kümmern. Inzwischen war der vierundzwanzigste Tag des neunten Monats angebrochen. Und auch jetzt reagierte er nicht.
    „Mein Herr!“, diesmal würde Dalinius nicht aufgeben, „wir müssen etwas unternehmen. Die Frauen und Kinder schaffen es nicht. Und wenn wir die Ernte nicht einholen, werden viele in diesem Winter Hunger leiden.“
    Langsam, als erwache er aus einem Traum, lenkte Julien seinen Blick auf den Mann vor ihm.
    „Was erwartest du von mir?“, fragte er leise und resigniert, „ich kann

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