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Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Kandari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tracy Schoch
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„ich wollte dir nicht wehtun.“
    Sie trat ein paar Schritte zurück und sah ihn aufmerksam an. Jetzt, ohne den gehetzten Blick und die finstere Entschlossenheit, wirkte sein Gesichtsausdruck beinahe friedlich. Er hatte die schmalen Gesichtszüge und die auffälligen blauen Augen, die so typisch für die Kandari zu sein schienen. Selbst in diesem Augenblick, in dem er nur ein Schatten seiner selbst war, fühlte sie sich zu ihm hingezogen, sie fühlte sich sicher in seiner Gegenwart, beschützt. Dann bemerkte sie, dass sie ihn anstarrte, und senkte verlegen den Blick.
    „Wie geht es dir?“
    Pierre schloss die Augen und ließ den Kopf zurück auf das Kissen sinken. Einen Moment lang glaubte Rowena, er wäre wieder eingeschlafen. Aber dann sah er zu ihr auf und lächelte: „Besser, denke ich. Du musst dir keine Sorgen mehr machen, Rowena“, er ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, „wo sind wir hier?“
    Rowena runzelte die Stirn: „Im Palast von Butrok. Erinnerst du dich nicht mehr?“
    Er schüttelte leicht den Kopf, schien diese Bewegung jedoch sofort zu bereuen, denn er zog eine Grimasse und hielt still.
    „Ich erinnere mich ja kaum an meinen Namen.“
    Beinahe hoffte sie, er würde noch mehr sagen. Ihr gefielen sein weicher Akzent und der warme Klang seiner Stimme. Doch dann erinnerte sie sich an seine ersten Worte. Sie eilte zum anderen Ende des Zimmers und kam mit einem Glas Wasser zurück. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie seine matten Bewegungen, die ihn so unglaublich viel Kraft zu kosten schienen. Langsam wurde ihr bewusst, dass es ihm nicht so gut ging, wie sie gern geglaubt hätte. Es stimmte, das Fieber war gesunken und er würde weiterleben, aber es würde lange dauern, bis er auch nur einen Bruchteil seiner alten Stärke wiedergewonnen hätte. Auch jetzt fielen ihm die Augen zu und einen Augenblick später war er eingeschlafen. Selbst im Schlaf waren der Zug tiefer Erschöpfung, die Spuren des Leids und der Qualen, die er im Gefängnis von Andra’graco erlitten hatte, sichtbar. Aber nun bestand Hoffnung, dachte Rowena. Mit einem unbewussten, beinahe zärtlichen Lächeln sah sie auf ihn herab. Noch vor Kurzem hätte sie nicht geglaubt, dass sie ihr Herz an einen vollkommen Fremden, der noch dazu ihr Feind sein müsste, binden könnte. Doch so war es.
     
    Ein schicksalhafter Moment in der Geschichte Anorias, dachte François, als er am Abend des nächsten Tages ein weiteres Mal hinter Larenia die Audienzhalle des Gildehauses betrat. Die Entscheidung über den Waffenstillstand würde über Hoffen und Verzweifeln und letztendlich über das Fortbestehen des Königreiches von Anoria entscheiden. Daher konnte François sich kaum vorstellen, dass sich die Brochonier, sollten sie auf ihren Vorschlag eingehen, ernsthaft an ihr Abkommen halten würden. Er hatte Larenia seine Bedenken mitgeteilt, doch sie hatte seine Zweifel zurückgewiesen. Allerdings nicht, weil sie von der Ehrlichkeit ihrer Feinde überzeugt wäre, wie sie ihm in dem ihr eigenen trockenen Tonfall geantwortet hatte, sondern weil die Heerführer der Brochonier mit einem Vertragsbruch in den Augen ihres Volkes den Anschein der Rechtmäßigkeit dieses Krieges und damit wahrscheinlich auch die Unterstützung der Bevölkerung verlieren würden. Zudem hatte sie die Wahrheit gesagt: Beide Seiten profitierten von einer Pause der Kampfhandlungen und die Brochonier würden kaum auf diesen Vorteil verzichten. Wenn sie sie tatsächlich hintergehen wollten, würden sie es auf eine andere Weise tun. Aber Larenia hatte es wie so oft bei Rätseln und Andeutungen belassen. François hätte den nächsten Schritt der Brochonier vielleicht erraten können. Man hatte ihn dazu ausgebildet, die Gedanken anderer auch ohne Telepathie erahnen und so ihre Entscheidungen vorhersehen zu können. Und er irrte sich selten. Doch er konnte die Geschehnisse nicht mit der gleichen absoluten Sicherheit vorhersagen wie Philipe oder, in manchen Situationen, Larenia. Und heute war er froh darüber, es nicht zu können. Zu deutlich erinnerte er sich an ihr erstes Treffen mit dem brochonischen Druiden. François war sich nicht sicher, ob er der geballten Macht dieses Mannes hätte standhalten können.
    Das Bild, das sich ihnen in der Halle bot, unterschied sich kaum von ihrem gestrigen Treffen. Malicius saß wieder in seinem erhöhten Sessel, doch wirkte er jetzt im rötlichen Fackellicht unheimlicher und finster. Diesmal jedoch versuchte er nicht, seine magischen

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