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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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einließ. Ebenso wenig hörte er ihre Schritte auf der Treppe zum Zwischengeschoss und dann herauf zu der Kammer, in der er am Werk war. Einen Moment später, als sie hinter ihm stand, hätte er normalerweise den vertrauten Geruch ihres Parfums wahrgenommen, doch diesmal hörte er als Erstes ihre Stimme. Er fuhr zusammen und ließ das Maßband fallen.
    Â»Sollten die Leinwände nicht bemalt sein, ehe man sie rahmt?«, fragte sie und betrachtete halb amüsiert, halb verwirrt die drei großen, verschnörkelten Rahmen an der Tür, von denen jeder eine vollkommen weiße Leinwand einfasste. »Hast du nicht das Pferd am Schwanz aufgezäumt?«
    Â»Stella«, sagte Montignac und spürte die leichte Röte, die sein Gesicht überzog, wie es bei Menschen geschieht, die man bei etwas Verbotenem ertappt, »ich habe dich gar nicht kommen hören. Wie bist du hereingekommen?«
    Â»Dein Assistent hat mich beim Hinausgehen eingelassen.« Sie schaute an ihm vorbei auf den Arbeitstisch. Er versuchte, ihr die Sicht zu verstellen. »Er wusste, dass ich deine Cousine bin und –«
    Â»So – wusste er das?«, fiel Montignac ihr ins Wort und notierte sich im Geist, Jason am nächsten Tag klarzumachen, was er von seinem Vorgehen hielt.
    Â»Ist das ein Problem?«, fragte sie. »Du bist doch noch da.«
    Â»Bin ich, ja.« Montignac nahm ihren Arm und führte sie hinaus. »Komm, wir gehen nach unten.«
    Â»Warum? Warum können wir denn nicht hier miteinander reden?«
    Â»Der Raum ist nur für Personal«, antwortete er, wie er hoffte, mit charmantem Lächeln. Stella hob verwundert die Brauen.
    Â»Mein Gott, Owen, ich bin es doch nur, und sonst ist niemand da.«
    Â»Aber anders ist es mir lieber«, erwiderte er und zog sie am Arm zur Treppe. »Na, komm schon.«
    Â»Gut, meinetwegen«, sagte sie pikiert. »Bitte, zieh mich nicht so.« Auf dem Weg die Treppe hinunter warf sie noch einmal einen Blick zurück und glaubte, kurz einen jungen Mann wahrzunehmen, der mit zwei Bechern in den Händen oben in die Kammer ging. »Ist da oben noch jemand?«, erkundigte sie sich.
    Â»Nur ein Lehrling«, antwortete Montignac. Inzwischen hatten sie die Galerie erreicht. »Wir lernen gerade, wie man Rahmen baut. Die Arbeit an Handwerker zu vergeben kostet die Galerie ein Vermögen, und wir sind ja nie so beschäftigt, dass wir es nicht auch selbst machen könnten. Wir brauchen nur das nötige Geschick. Deshalb hast du da oben unsere Schreinerarbeiten gesehen. Und die leeren Leinwände. Später nehmen wir die Rahmen wieder ab und üben weiter.«
    Â»Ach so«, sagte Stella, die bereits das Interesse an dem Thema verloren hatte, »aber ich bin ja auch nicht hier, um über Rahmen zu reden.«
    Â»Eigentlich passt mir dein Besuch im Moment nicht so richtig«, sagte Montignac. »Können wir uns nicht morgen treffen?«
    Â»Nein, Owen, das können wir nicht«, erwiderte Stella ungeduldig. »Morgen früh sitze ich im Zug nach Leyville. Falls du dich erinnerst, ich hatte dich gestern angerufen. Da hattest du versprochen, dich heute mit mir zum Lunch zu treffen, aber dann bist du nicht erschienen. Aus diesem Grund muss ich noch einmal in London übernachten, obwohl zu Hause dringende Angelegenheiten auf mich warten.«
    Â»Oh, richtig«, sagte Montignac. Zur vereinbarten Zeit hatte er vor dem Restaurant gestanden und wieder kehrtgemacht, so sehr mit seinen Plänen beschäftigt, dass ihm der Sinn nicht nach einem weiteren Gespräch mit seiner Cousine stand.
    Â»Mir scheint, zurzeit bekomme ich dich nur zu fassen, wenn ich unangemeldet hier auftauche. Was mir nichts ausmacht, da es die einzige Möglichkeit ist, mit dir reden zu können. Du weißt doch, dass ich dich nicht entkommen lasse.«
    Montignac hob die Brauen und dachte an den Tag, als sie den letzten Satz schon einmal zu ihm gesagt hatte; eine Erinnerung, die ihr offenbar entfallen war, wie so vieles andere auch.
    Â»Ach nein?«, fragte er leise.
    Â»Nein. Wie ich schon gesagt habe, lasse ich nicht zu, dass uns jetzt, da mein Vater nicht mehr lebt, etwas trennt. Ich möchte dich sehen, Owen. Ich möchte, dass wir Freunde sind. Wieder eine – Familie sind. Wie wir es einmal waren.«
    Â»Schön«, sagte Montignac. Er wollte, dass sie sich in Richtung Tür bewegte, »aber jetzt ist nicht die beste Zeit

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