Das Vermächtnis der Montignacs
inzwischen jeder, wer sie ist. Ich habe gehört, dass Baldwin sogar gesagt hat, sie sei ja nicht einmal eine anständige und ehrbare Hure, denn sonst könnte man es ja noch verzeihen.«
»Vielleicht kennt er sie persönlich, aber nicht offiziell.«
»Und wo ist da der Unterschied?«
Roderick zuckte mit den Schultern. »Hailsham behauptet, dass es einen gibt.«
»Das ist nur Wortklauberei. Aber wie ist sie denn so? Hat er darüber etwas gesagt?«
»Nein. Altringham hat Monckton danach gefragt, aber der hat nichts preisgegeben.«
»Ich dachte, sie wäre ihren Ehemann schon vor zwei Jahren losgeworden, als der König sie zu der Kreuzfahrt vor Spanien und Portugal eingeladen hatte.«
»Stimmt, da war er nicht mit von der Partie«, sagte Roderick. »Aber offenbar hat er immer noch eine Rolle gespielt. Er hat übrigens selbst eine Geliebte. Wie es heiÃt, gehen alle sehr freundschaftlich miteinander um. Aber die Simpsons warten nur auf ein Zeichen. Danach lassen sie sich scheiden.«
Jane schüttelte den Kopf. »Wie eigentümlich.«
»Sie sind eben Amerikaner.«
»Trotzdem. Man muss sie bewundern. Sie wissen wenigstens, wie man das Kind beim Namen nennt, wohingegen wir rund um das Thema einen Eiertanz aufführen.«
»Vielleicht«, entgegnete Roderick, »aber ich muss ja wohl nicht betonen, dass aus dem Ganzen nichts wird.«
»Sie wird sich nicht scheiden lassen?«
»Vielleicht doch, aber darum geht es nicht. Eine Heirat wäre unmöglich. Unvorstellbar. Eine Frau, die zwei Mal geschieden ist, als Königin? Das steht einfach nicht zur Debatte.«
»Hm«, meinte Jane, »ja, das sehe ich auch so. Aber sie irgendwann aufzugeben wird für ihn sehr hart werden. Man sagt, dass er sie unglaublich gern hat.«
»Er kann sie so gern haben, wie er will, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es zu etwas führt«, sagte Roderick, fragte sich kurz, ob er Jane zuliebe seine Karriere opfern würde, und wusste gleich darauf, dass er es tun würde. Für Gareth oder Jane würde er es tun. Aber der König dachte darüber sicherlich anders. Er war aus härterem Holz geschnitzt als ein einfacher Kronanwalt.
»Sie muss wieder nach Hause fahren«, erklärte Jane bestimmt.
»Ich muss dir noch etwas Seltsames erzählen«, sagte Roderick. »Keaton, der bislang geschwiegen hatte â«
»Warte«, fiel Jane ihm ins Wort, »das ist Lord Keaton. Den kenne ich nicht, oder?«
»Ich weià nicht, ob du ihm schon einmal begegnet bist. Es gibt ihn schon seit Jahren, aber in den inneren Kreis hat er es nie richtig geschafft. Ich fand ihn immer tief verbittert. Stammt aus einer sehr alten Familie, mit einer Reihe Lordkanzler, die sich irgendwann zu Anfang der 1830er Jahre mit den Hannoveranern auf übelste Weise überworfen haben. Wenn mich nicht alles täuscht, hat sich einer seiner Vorfahren mit einem Höfling von William IV. angelegt, woraufhin Charles Grey ihn seines Amtes enthob. Seitdem möchten die Keatons ihre Ehre wieder herstellen und hoffen auf einen nächsten Lordkanzler in der Familie. Ich glaube, bisher gab es derer ein Dutzend. Dass einer von ihnen das Amt bekleidet, scheinen sie als gottgegeben zu betrachten, so absurd das auch klingt. Mir scheint, Keaton steht sich ganz gut mit den Yorks und ist wohl auch so etwas wie ein Vertrauter von Baldwin. Zudem ist er äuÃerst vermögend. Dass er immer noch an den längst vergangenen Geschichten krankt, ist mir unbegreiflich. Ehrlich gesagt habe ich mich beim Betreten von Hailshams Büro gefragt, was er dort zu suchen hat. Für seine Einladung schien es keinen Grund zu geben, aber Hailsham wird ja gewusst haben, was er tut. Ich vermute, Keatons juristischer Verstand ist ausgezeichnet, und er gehört zu den erfahrensten Kronanwälten, aber in dieser Angelegenheit hätte ich Mellows oder Hagan für geeigneter gehalten. Wahrscheinlich hat Baldwin auf ihm bestanden.«
»Ja aber, was hat er denn nun gesagt?«
»Er räusperte sich, und alle starrten ihn an, denn er hatte ja noch kein Wort verlauten lassen. Dann sagte er: âºGesetzt den Fall, dass der König beschlieÃt, diese Frau zu heiraten, was dann, meine Herren?«
»Eigentlich eine ganz vernünftige Frage.«
»Wohl eher nicht. Hailsham erklärte sogleich, es mache keinen Sinn, die Zeit mit unrealistischen Szenarien zu
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