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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Zentimeter von der klaffenden Wunde in dessen Schädel entfernt. In dem Augenblick begann er zu schreien, so gellend, dass man ihn im ganzen Haus hörte. Die beiden Polizisten zogen ihn hoch, stießen ihn gegen die Wand; er hatte ein Gefühl, als würde die Welt untergehen, vor seinen Augen wurde es schwarz, und er sank auf die Knie.
    Als er wenig später zu sich kam, dauerte es nicht lang, ehe er sich wieder an das Geschehen erinnerte. Er hatte noch immer einen Kater, doch zudem dröhnte sein Schädel von dem Schlag mit dem Gummiknüppel, den er auf den Hinterkopf erhalten hatte. Jetzt wusste er, dass es kein Albtraum gewesen war, er hatte nicht einmal geträumt.
    Er befand sich hinten in einem Polizeitransporter, mit vergitterten Fenstern auf beiden Seiten. Er richtete sich auf und musste sich an den Haltegriffen festhalten, als der Wagen anfuhr. Ihm fielen zwei Dinge auf: Dass der Tote, inzwischen von einem Laken bedeckt, auf einer Trage zu einem wartenden Rettungswagen gebracht wurde, und dass sich auf dem Bürgersteig Schaulustige eingefunden hatten. Sie sahen mitleidig auf die verhüllte Leiche und dann voller Abscheu zu ihm. Außerdem sah er das Schild an der Gebäudeecke, das ihm verriet, dass er am Bedford Place gewesen war.
    Er hörte den Schlüssel im Schloss seiner Zellentür, rutschte auf seiner Pritsche zurück und drückte sich mit dem Rücken an die Wand. Er wusste zwar, dass ihm hier niemand etwas antun würde, doch im Vergleich zu seinem Entsetzen, überhaupt hier zu sein, bedeutete ihm diese Sicherheit wenig. Seit seiner Ankunft war er kaum fähig gewesen zu sprechen, geschweige denn nachzuvollziehen, was seit seiner Ankunft geschehen war.
    Â»Hallo, Bentley«, begrüßte ihn der Aufseher und brachte auf einem Tablett ein annehmbares Frühstück herein. Schinken und Rührei, Toast, eine Kanne Tee, also keineswegs den undefinierbaren Brei, von dem Gareth in Geschichten über Gefängnisse gelesen hatte. »Wie geht es Ihnen denn heute so?«
    Â»Wann kann ich meine Eltern sehen?«, fragte Gareth. Der Aufseher lachte auf, was aber nicht böse gemeint war.
    Â»Komisch«, sagte er, »ich habe einen Sohn in Ihrem Alter, der mich halb in den Wahnsinn treibt, ungelogen. Nie hört er auf mich, und wenn ich ihm etwas befehle, geht er hin und macht genau das Gegenteil, wahrscheinlich nur, um mich zu ärgern. Mir scheint, ihr jungen Leute seid alle gleich. Da glaubt ihr, ihr wärt erwachsen und würdet allein zurechtkommen, doch wenn einer von euch in Schwierigkeiten gerät und hier bei mir landet, fragt jeder als erstes, ›wann kann ich meine Eltern sehen‹? Aber es ist ja schön, zu wissen, dass wir wenigstens noch zu etwas gut sind.«
    Gareth verzog keine Miene und blieb, wo er war. Er wollte weder angeschaut, noch berührt oder angesprochen werden. Er wollte nur die Antwort auf seine Frage. Der Aufseher seufzte.
    Â»Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich. »Ich bin sicher, all das wird ihr Anwalt arrangieren.«
    Â»Seit drei Tagen habe ich sie nicht mehr gesehen. Wann kommen sie wieder? Seitdem habe ich niemanden mehr gesehen.«
    Â»Das ist nicht ganz richtig«, verbesserte der Aufseher. »Sie haben den Inspector gesehen, oder etwa nicht? Den Mann, der Sie beschuldigt hat.«
    Â»Wieso beschuldigt?«
    Â»Der Ihnen erklärt hat, was man Ihnen zur Last legt.«
    Â»Ja richtig, er hat gesagt, ich hätte jemanden ermordet. Jemanden, den ich nicht einmal kenne. Warum sollte ich so etwas tun?«, fragte Gareth flehend, als würde der Aufseher auf die Weise seine Aufrichtigkeit erkennen, den bösen Irrtum, der begangen worden war, und ihn daraufhin anstandslos freilassen. »Warum sollte ich jemanden umbringen, den ich nicht kenne?«
    Â»Das müssen Sie mich nicht fragen, Herzchen«, antwortete der Aufseher freundlich, zuckte mit den Schultern und wandte sich zur Tür um. »Ich bin hier nur so eine Art Kellner. Lassen Sie sich Ihr Frühstück schmecken.«
    Er verließ den Raum, schloss die Tür und verriegelte sie wie einen Banktresor. Gareth konnte sich immer noch nicht rühren. Er fühlte sich ausgehungert, denn seit einem Tag hatte er nichts mehr gegessen, und das Essen sah gut aus und roch auch gut. Nur stand es auf der anderen Seite der Zelle, und die Vorstellung, die raue Wolldecke zurückzuschlagen, aufzustehen und Schritte zu wagen, war ihm

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