Das Vermächtnis der Montignacs
Lagerräume oben steht ein schweres Bücherregal, das ich gern nach vorn ziehen möchte. Mein Assistent ist schon nach Hause gegangen, sonst würde ich dich damit gar nicht behelligen.«
»Kein Problem«, sagte Raymond voller Freude darüber, dass er hilfreich sein konnte. »Wozu hat man denn einen Schwager?«
»Du meinst einen angeheirateten Cousin«, verbesserte Montignac. »Stella ist nicht meine Schwester.«
Raymond biss sich auf die Lippe. »Nein, nein, natürlich nicht.« Er rollte seine Hemdsärmel hoch. Ãberrascht registrierte Montignac die kräftigen Unterarme seines Widersachers und den prallen Bizeps. Anscheinend muss man in der Königlichen Gartenbaugesellschaft einiges schleppen , fuhr es ihm durch den Sinn, und ihm wurde klar, dass er zum guten Gelingen seines Plans den richtigen Moment abpassen musste.
»Dann komm mit«, sagte er und stieg die Treppe hinauf. Raymond folgte ihm. Oben angekommen knipste Montignac eine Lampe an. In der Galerie unten hatte er das Licht ausgeschaltet. »Ach übrigens, du hast Stella doch nichts von unserem Treffen erzählt, oder?«
»Ich habe keinen Ton gesagt.«
»Braver Junge.«
»Wenn sie es erfährt, wird sie überglücklich sein«, sagte Raymond. »Ich bin sicher, sie möchte, dass wir Freunde werden.«
»Der Mensch kann nie genug Freunde haben.« Montignac öffnete die Tür zu der Kammer, schaltete das Licht ein und wies auf das Bücherregel an der Wand gegenüber. »Na, was meinst du?«
»Sieht gar nicht so schlimm aus.« Raymond trat vor und stand mit dem Rücken zu Montignac.
»Es ist schwerer, als man denkt. Wenn du versuchst, es anzuheben, weiÃt du, was ich meine.«
Raymond bückte sich, griff mit zwei Händen unter das Regal und versuchte, es anzuheben. Es war schwer, doch er nahm an, zu zweit würden sie es schaffen.
»Dürfte kein Problem sein«, erklärte er, ging in die Hocke und drehte sich zu seinem zukünftigen Verwandten um. »Wenn jeder von uns eine Seite nimmt, dann â«
Der Satz blieb unvollendet, denn plötzlich traf ihn ein Schlag in den Nacken. Mit leisem Stöhnen sank er auf die Knie und tastete mit einer Hand über den Boden, um den Gegenstand zu suchen, der ihn dermaÃen schmerzhaft getroffen hatte. Dann sackte er vornüber und verlor das Bewusstsein.
Montignac legte die Stahlstange ab und atmete auf. Auf diesen einen gewaltigen Hieb hatte er all seine Hoffnung gesetzt. Wichtig war jetzt nur, dass er Raymond nicht getötet, sondern lediglich bewusstlos geschlagen hatte. Er prüfte dessen Puls, der noch zu spüren war. Rasch griff er nach der Rolle Klebeband, riss einen langen Streifen ab und fesselte damit Raymonds Hände auf dem Rücken. Mit dem nächsten Streifen band er dessen Beine zusammen und klebte ihm ein drittes, kurzes Stück über den Mund. Wenn alles gut ging, würde es Stunden dauern, ehe Raymond wieder zu sich kam.
Ein dünner Blutfaden aus Raymonds Mundwinkel war in Montignacs Hemdsärmel gesickert. Er nahm ihn nicht wahr, denn wieder wurde unten an die Tür geklopft. Montignac verlieà den Lagerraum. In der Galerie sah er Gareth Bentley, der durch die Glasscheibe der Eingangstür spähte und auf sein Schicksal wartete.
Im Bullirag suchte Montignac absichtlich einen Tisch aus, den man von der Theke her nur zu einem Teil sehen konnte. AnschlieÃend sorgte er für einen steten Nachschub an Getränken.
»Für mich nichts mehr«, sagte Gareth bei jedem Glas Bier oder Whisky, das ihm gebracht wurde. »Ich habe doch schon gesagt, dass ich nicht zu viel trinken darf.«
»Na, kommen Sie, wir wollen doch feiern«, entgegnete Montignac fröhlich. »Sie haben tausend Pfund in der Tasche. Wollen Sie Ihren Chef etwa allein trinken lassen? Das ist doch keine Arbeitsmoral.«
Er erkannte, wie beunruhigt Gareth wirkte, als sein letzter Rest Widerstand ins Wanken geriet, bis schlieÃlich seine Freude am Trinken siegte. Ihn zu beobachten war eine Studie für sich. Zuerst kam die Sorge, dann löste sich der Wille auf, gefolgt vom Verlust der Selbstkontrolle, der langsam in den Wunsch nach mehr überging, woraus immer schnelleres Trinken wurde, das zu immer lebhafteren, teils sogar hitzigen Reden führte, die dann ins Rührselige kippten und in peinliche Geständnisse der Bewunderung seines Begleiters mündeten.
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