Das Vermächtnis der Montignacs
verhalten zurück und hörte, wie Gareth sich ächzend durch die Luke der Threadbare quälte und kurz danach über den Boden rutschte. Wenige Minuten später lieà er sich durch die Luke gleiten. Dann standen sie da und sahen sich um.
Jeder von ihnen spürte, wie heftig ihm das Herz gegen die Rippen schlug, und für einen Moment sagte keiner ein Wort. Montignac nahm Gareths Taschenlampe und leuchtete die Wände ab. Er entdeckte das schwere Regal an der Trennwand zur Threadbare, vollgestopft mit Büchern, das sie niemals hätten verrücken können, selbst wenn dahinter eine Tür gewesen wäre. Sein Blick fiel auf einen Lichtschalter, zu dem er trat und das Licht einschaltete. Er stellte zufrieden fest, dass es im Raum keine Fenster gab und man das Licht von auÃen nicht sehen würde. Lächelnd wandte er sich zu seinem Komplizen um.
»Wir haben es geschafft.«
Voller Bewunderung betrachteten sie den Raum. In dem Lager der Threadbare im obersten Stockwerk herrschte ein solches Durcheinander, dass man es auch als bessere Müllhalde bezeichnen konnte. Die Geschäftsleitung der Clarion Gallery hatte sich offenbar für einen anderen Ansatz entschieden, denn der Raum, in dem sie standen, war makellos. An einer Wand befand sich ein Regal mit Schubfächern, in denen die Utensilien für den Rahmenbau verstaut waren â Metallklammern, Nägel, winzige Hämmer, Rasierklingen, Teppichmesser, Flügelschrauben â, an einer anderen Wand reihten sich in einem Regal Farbtöpfe und Flaschen mit Terpentin aneinander, und an einer dritten Wand stapelten sich zugeschnittene Leinwände. Doch die Krönung des Ganzen sah man ringsum auf Staffeleien.
»Die Gemälde von Cézanne«, sagte Montignac andächtig.
Es waren ihrer zwölf. Die alten Rahmen waren entfernt worden, sodass sich die Bilder nackt von den Staffeleien abhoben. Montignac ging von einem zum anderen und begutachtete jedes mit Kennerblick. Natürlich hatte er sich schon während seines Studiums mit Cézanne auseinandergesetzt und auf einer Studienreise nach Russland sogar etliche Werke des Meisters in der Eremitage in Leningrad betrachtet, anderen wiederum war er bei seinen mehrfachen Besuchen im Louvre begegnet, doch eine derart intime Besichtigung war ihm bisher noch nie vergönnt gewesen. Allein ihr Anblick löste in ihm den Wunsch aus, in die Threadbare zurückzukehren und die dort ausgestellten Scharlatanerien zu verbrennen.
»Herrlich, nicht wahr?«, fragte er nachdenklich. »Schauen Sie sich an, wie zurückhaltend er beim Porträtieren bleibt, wie oft er mit der Klinge arbeitet, aber es heiÃt ja auch, dass Cèzanne â«
»Sollten wir nicht mal anfangen«, fiel Gareth ein, den der Aufenthalt in diesem Raum dermaÃen nervös machte, dass er auf eine Lektion über Maltechniken verzichten konnte. Besorgt schaute er auf seine Uhr. »Wir wollen doch nicht die ganze Nacht hier herumstehen.«
»Banause«, antwortete Montignac verstimmt. »Berühren die Bilder Sie denn gar nicht?«
Gareth trat vor, beäugte ein Gemälde und hoffte, ihm fiele ein kluger Kommentar ein, der seinen Chef beeindrucken würde. Doch wo Montignac Farben und Dichte erkannte, sah er nur bemalte Leinwände.
»Doch, sehr schön«, murmelte er. Montignac schüttelte den Kopf.
»Was für eine Verschwendung«, sagte er. »Sie ahnen ja nicht, wie viel Glück Sie haben, diese Bilder aus der Nähe betrachten zu dürfen. Aber offenbar interessiert Sie das nicht im Geringsten. Na gut« â er wechselte von der Kunstbetrachtung zum Geschäft â »haben Sie das MaÃband dabei?«
Gareth zog es aus der Tasche, während Montignac seiner Tasche Block und Bleistift entnahm.
»Also dann.« Gareth begann, das erste Gemälde auszumessen. »Bild mit einem Jungen, der einen Schädel anschaut.«
»Der Titel lautet Jeune Homme à la Tête de Mort «, erklärte Montignac gereizt.
»Senkrecht ein Meter sechsundzwanzig.« Gareth zog das Band in die Breite. »Mal sechsundneunzig Zentimeter waagerecht.«
Montignac notierte sich die MaÃe. Gareth wandte sich der nächsten Staffelei zu.
»Ein Haufen nackter Frauen«, bemerkte er angewidert. Montignac beugte sich zu dem Bild vor.
»Ich glaube, dabei handelt es sich um Les Grandes Baigneuses , was meinen Sie?« Es war eine
Weitere Kostenlose Bücher