Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
nichts geändert zu haben.
Jedenfalls nichts zum Besseren.
»Wo ist er?«, fragte er nur.
»Draußen auf dem Wagen«, erwiderte Quentin und deutete Richtung Tür. »Wenn Sie …«
»Das muss ich wohl«, kam es mürrisch zurück.
Slocombe bedeutete Quentin, ihm vorauszugehen, und sie verließen das Büro und traten hinaus auf den Marktplatz, über dem an diesem Morgen dichte graue Wolken hingen. Der Pritschenwagen, mit dem Quentin gekommen war, stand am Straßenrand. Als Slocombe die verräterischen Formen erkannte, die sich unter der Plane auf der Ladefläche abzeichneten, stieß er abermals eine Verwünschung aus. Seine vom Scotch geröteten Züge verzerrten sich vor Abscheu, während er ans Kopfende trat und die Plane anhob.
»Verdammt«, sagte er nur.
»Sie kennen den Mann?«
»Natürlich kenne ich ihn. Er stammt tatsächlich hier aus dem Dorf. Sein Name ist Malcolm Graham, aber alle nennen ihn nur Mackie. Er ist einer dieser jungen Kerle, die zu viel trinken und zu wenig arbeiten. Ich habe ihm gesagt, dass es irgendwann ein übles Ende mit ihm nehmen wird. Und ich habe recht behalten.«
»Heißt das, dass er schon öfter in Schwierigkeiten war?«, hakte Quentin nach.
Slocombe nickte. »Er hat schon mal in Galashiels eingesessen, einen ganzen Monat lang. Aber es hat wohl nichts genutzt.« Der Sheriff schlug mit der geballten Faust auf die Ladefläche. »Verdammt, Junge! Was hast du dir nur dabei gedacht?«
Quentin blickte betreten zu Boden. Man konnte sehen, dass der Tod des jungen Burschen Slocombe naheging. Vielleicht, sagte sich Quentin, war es gar nicht Faulheit, die den Sheriff von seinen Pflichten fernhielt. Vielleicht war er ja nur nicht der richtige Mann für diese Art von Arbeit.
»Er war einer von den Kerlen, die immer Ärger machen«, berichtete Slocombe weiter. »Seine Mutter ist im Kindbett gestorben, sein Vater kam nie darüber hinweg. Als er vor ein paar Jahren ebenfalls starb, hinterließ er Mackie einen kleinen Hof, den der Junge jedoch verkommen ließ. Wenn er mal Geld hatte, dann hat er es gleich in die nächste Taverne getragen. Oder zu Natty.«
Quentin hob die Brauen. »Wer ist Natty?«
»Kennst du noch das alte Haus an der Biegung kurz vor Roxburgh?«
»Das Grey’s Inn«, bestätigte Quentin.
»Das Grey’s Inn gibt’s nicht mehr«, klärte ihn Slocombe auf. »Es heißt jetzt Molly’s Inn, und es ist nicht das, was es auf den ersten Blick zu sein scheint, verstehst du?«
»Nein«, gestand Quentin.
»Einige Damen haben sich dort niedergelassen, die … du weißt schon … sich einsamer Männer annehmen.«
»Allerdings nicht aus reiner Nächstenliebe, sondern gegen ein gewisses Entgelt«, vermutete Quentin. »Und das lassen Sie zu?«
»Nun«, verteidigte sich Slocombe, wobei er noch ein wenig mehr errötete, »solange sich die Mädchen nicht auf der Straße aufhalten, verstoßen sie nicht gegen das Gesetz. Und davon abgesehen, gibt es in der Gegend nicht wenige Gentlemen, die die Dienste Red Mollys und ihrer Mädchen gerne in Anspruch nehmen. Selbst ich bin bereits …«
»Ich will das gar nicht wissen, Sheriff«, stellte Quentin klar. »Und diese Natty, von der Sie sprachen, ist …«
»… eines der Freudenmädchen«, gestand Slocombe ein. »Soviel ich weiß, hatte sie Mackie gehörig den Kopf verdreht, denn er besuchte sie, so oft er nur konnte.«
»Dann weiß sie womöglich mehr«, mutmaßte Quentin. »Womöglich gab es Komplizen. Oder einen Auftraggeber.«
»Ich denke nicht«, meinte Slocombe, wobei er die roten Wangen plusterte und sich am spärlich behaarten Hinterkopf kratzte. »Der Junge war so allein, wie man nur sein kann, ein Einzelgänger. Ich werde mich erst mal um seinen Leichnam kümmern und dafür sorgen, dass er ein anständiges Begräbnis bekommt.«
»Und Natty?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Wollen Sie sie nicht befragen?«
»Später vielleicht«, kam es zurück. Quentin kannte den Sheriff gut genug, um zu wissen, dass dies seine Art war zu sagen, dass er für einen Tag genug Arbeit gehabt hatte. Vermutlich würde er den Nachmittag damit verbringen, eine Flasche Scotch zu Mackies Ehren zu leeren. Der Vorteil war, dass Quentin und sein Onkel dadurch freies Feld hatten.
Quentin wartete noch, bis Slocombe ein paar Burschen herbeigerufen hatte, die den Leichnam vom Wagen luden und ihn hinüber zur Kirche trugen. Dann verabschiedete er sich, bestieg den Kutschbock und fuhr zurück nach Abbotsford.
Ein seltsames Hochgefühl erfüllte ihn
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