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Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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folgte der alten Landstraße, die von Galashiels nach Roxburgh führte und sich wegen der Schnee- und Regenfälle der vergangenen Wochen in einem beklagenswerten Zustand befand. Entsprechend langsam kam das Gefährt voran, und Quentin war erleichtert, als sie endlich die Kreuzung erreichten und die Straße nach Roxburgh nahmen.
    »Und du hast wirklich vor, dieses … Etablissement zu betreten, Onkel?«, fragte Quentin.
    »Keineswegs, Junge«, widersprach Sir Walter, »schließlich darf ich mich noch immer nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Stattdessen wirst du hineingehen und die betreffende Dame zu unserer Kutsche bitten.«
    »Ich?« Quentin errötete schlagartig. »Aber wie sieht das denn aus? Was wird Mary dazu sagen?«
    »Sie wird es verstehen«, meinte Sir Walter überzeugt. »In diesem Fall dürfte der Zweck die Mittel heiligen.«
    »Aber … aber …« Quentin suchte nach Ausflüchten – und fand keine. Schließlich begnügte er sich damit, schicksalsergeben zu seufzen und sich dem Willen seines Onkels zu fügen. Manche Dinge änderten sich wohl nie.
    Als die Kutsche das Gebäude erreichte, das Quentin noch als das Grey’s Inn kannte – ein langgestrecktes, zweistöckiges Steinhaus, das an einer Wegbiegung lag –, ließ Sir Walter anhalten. Es war die Mietdroschke, mit der McCauley aus Edinburgh gekommen war und die er ihnen samt Kutscher überlassen hatte. Quentin bezweifelte, dass der kleinwüchsige Mann mit den verhärmten Zügen wusste, dass er einen lebenden Toten durch die Gegend fuhr, zumal sich Sir Walter einen Schal vors Gesicht geschlagen hatte und seinen Zylinder tief ins Gesicht gezogen trug.
    »Los doch«, forderte Sir Walter seinen Neffen auf. »Ich bin sicher, die Damen beißen nicht.«
    Quentin stieg aus der Kutsche. Ein wenig unbehaglich war ihm dabei schon zumute. Mit argwöhnischen Blicken vergewisserte er sich, dass niemand ihn beobachtete, dann klopfte er zaghaft an die Pforte. Er erschrak, als ein grobschlächtiger Kerl die Tür aufriss und ihn aus blutunterlaufenen Augen anstarrte.
    »Ja?«
    »Ich … äh …« Noch ehe sich Quentin erklären konnte, gab der Mann bereits den Weg frei. Vermutlich war er der Aufpasser, dessen rohe Körperkraft immer dann gefragt war, wenn einer der Freier säumig war oder etwas verlangte, das ihm nicht zustand.
    Durch eine Wolke von bitterem Biergeruch, die den Türsteher umgab und den Eingang zu verbarrikadieren schien, trat Quentin ein. Es war sein erster Besuch an einem Ort wie diesem, entsprechend unvorbereitet war er. Schummriges Halbdunkel empfing ihn in der Eingangshalle, deren Fenster mit Vorhängen verhüllt waren, und aus diesem Halbdunkel trat ihm im nächsten Moment die schrillste Person entgegen, der er je begegnet war.
    Das Gesicht der Frau war blass gepudert und ließ ihre Lippen umso greller leuchten. Auf ihrem Kopf saß ein wahres Ungeheuer von Perücke, deren dicke fuchsrote Locken an Tentakel erinnerten. Das Kleid, das sie trug, war aus dunkler spitzenbesetzter Seide und betonte ihr üppiges Dekolleté – allerdings konnte es nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Reize bereits ein wenig in die Jahre gekommen waren.
    »Herzlich willkommen, junger Master«, empfing sie ihn mit tiefer Stimme und zuckersüßem Lächeln. »Ich bin Molly, die Betreiberin dieses wunderbaren Ortes. Womit kann ich dienen?«
    »Ich … Ist Natty hier?«, erkundigte sich Quentin direkt.
    »Ah.« Madame Molly lächelte verheißungsvoll. »Da weiß jemand schon ganz genau, was er will, nicht wahr?«
    »Nun«, erwiderte Quentin, der zunehmend errötete, »Miss Natty wurde mir empfohlen, sozusagen.«
    »Wie schade«, beschied sie ihm und rümpfte die Nase, wobei sie ihn vom Scheitel bis zur Sohle musterte. »Einen knackigen jungen Burschen deines Schlages hätte auch die gute Molly nicht von der Bettkante gestoßen.«
    »Das – äh – ist sehr schmeichelhaft«, behauptete Quentin in seiner Not, worauf sie in helles Gekicher verfiel und sich entfernte. Als sie kurz darauf wiederkam, befand sich eine junge Frau in ihrer Gesellschaft.
    Auch ihre Züge waren gepudert, ihr schwarzes Haar jedoch, das in der Mitte gescheitelt war und an den Seiten in tuffigen Locken herabfiel, war fraglos echt. Ihr Alter schätzte Quentin auf höchstens zwanzig Jahre. Sie hatte ein hübsches Gesicht, aus dem rätselhafte grüne Augen blickten; ihr Kleid war so geschnitten, dass es die nackten Schultern sehen ließ, auch die Ansätze ihrer Brüste waren zu erkennen.

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