Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
oder?«
Seine anerzogene Höflichkeit drängte ihn zum Widerspruch, aber er entschied sich dagegen. »Nein, Hoheit«, gab er stattdessen unumwunden zu.
»Das ist gut, Scrymgour, denn ich traue Ihnen ebenfalls nicht. Aber wir brauchen einander, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen, ebenso, wie wir meinen heimlichen Verbündeten brauchen. Während Sie und Ihre Mitbrüder nur geredet haben, hat er die Information beschafft, die wir so dringend benötigen.«
»Wer ist er?«
»Erwarten Sie, dass ich das jemandem sage, der sein Gesicht hinter einer Maske verbirgt?«
Scrymgour wollte etwas erwidern, als von draußen Hufschlag zu hören war. »Licht!«, zischte er, worauf sie sofort den Scheffel über die Flamme stellte, die das Innere der Hütte in flackerndes Zwielicht getaucht hatte.
Dunkelheit fiel wie ein schwarzer Vorhang, und durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden spähten sie nach draußen. Unter seinem Umhang griff Scrymgour nach der Pistole.
Eine Vorsichtsmaßnahme.
Der Reiter schien allein zu sein. An dem laublosen Baum, der sich vor der Hütte erhob und seine knorrigen Äste in den dunklen Himmel reckte, zügelte er sein Pferd, stieg ab und band es fest. Dann näherte er sich der Hütte.
Scrymgour konnte nur Umrisse erkennen: ein Mann von aufrechtem Wuchs, der Umhang und Zylinder trug. Man konnte seine Schritte draußen knirschen hören.
Dann klopfte er an die Tür.
Es war eine Abfolge von lauten und leisen Klopftönen, ganz offenbar ein verabredetes Zeichen.
Da Scrymgour nichts von einem solchen Zeichen wusste – vermutlich hatte sie es ihm bewusst verschwiegen –, warf er der Frau einen fragenden Blick zu. Erst als sie nickte, zog er den Riegel zurück und öffnete die Tür.
Eine dunkle Gestalt huschte an ihm vorbei, worauf er die Tür sogleich wieder schloss. Die rechte Hand ließ er am Griff der Waffe. Der Lichtschein der Kerze kehrte zurück, und nun endlich konnte Scrymgour den nächtlichen Besucher sehen.
Er sah anders aus, als er ihn sich vorgestellt hatte, kein grobschlächtiger Scherge, sondern ein Mann, für den die Bezeichnung Gentleman durchaus zutreffend war.
Er war von schlanker Postur und trug einen weiten Mantel, der bis zu den Knien reichte und dessen seidengefütterten Kragen er hochgeschlagen hatte, um sich vor Wind und Kälte zu schützen. Seine Beine steckten in kniehohen Stiefeln aus schwarzem, fein gearbeitetem Leder. Unter seinem Zylinder kamen filigran geschnittene, dennoch energische Gesichtszüge zum Vorschein, die von glattem schwarzem Haar und einem ebenso schwarzen Schnauzbart umrahmt wurden. Der Mann, der fraglos jünger war als Scrymgour, bedachte ihn mit einem abschätzigen Blick, ohne dass zu erkennen gewesen wäre, was er dabei dachte. Dann wandte er sich Brighid zu und verneigte sich tief vor ihr.
»Hoheit«, murmelte er dabei.
»Sie sind hier, dem Himmel sei Dank«, erwiderte sie. »Was haben Sie zu berichten?«
»Unserer Mission war Erfolg beschieden«, erwiderte der Besucher. »Die Karte befindet sich in unserem Besitz – und der Schlüssel ebenfalls!«
»Wo?«, verlangte Scrymgour sofort zu wissen. »Sagt es uns!«
Erneut traf ihn der Blick des Besuchers, von dem er noch nicht einmal den Namen wusste. Dann wandte sich der Mann demonstrativ wieder seiner Auftraggeberin zu. »Was ich zu sagen habe, ist nur für Ihre Ohren bestimmt, Hoheit.«
»Das kommt nicht in Frage!«, begehrte Scrymgour auf. »Ich habe ein Recht darauf, alles zu erfahren!«
»Das werden Sie«, versicherte Brighid. »Alles zu seiner Zeit. Zunächst jedoch werde ich mich unter vier Augen mit meinem Informanten unterhalten.«
Scrymgours Augen verengten sich hinter der Maske. »Ich warne Sie«, schnaubte er. »Wenn Sie versuchen, mich und meine Mitbrüder zu hintergehen …«
»Ich weiß, dass Sie mir nicht trauen«, versicherte sie gelassen. »Aber Ihre Sorge ist unbegründet.«
Scrymgour knurrte wie das Tier, dessen Maske er trug. Alles in ihm sträubte sich dagegen, das Feld zu räumen und die Frau, der er ohnehin nicht über den Weg traute, mit diesem mysteriösen Fremden allein zu lassen. Andererseits, sagte er sich, konnten sie ohne ihn nichts unternehmen.
»Ich warte draußen«, erklärte er schließlich. »Meine Leute sorgen dafür, dass niemand diese Hütte ungesehen verlässt.«
Kaum hatte Diarmid of Scrymgour die Hütte verlassen, fielen die Beschränkungen, die sie sich eben noch auferlegt hatten. Sie stürzte in seine Arme, und sie küssten sich,
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