Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
nötig befand, sich aus seinem Sessel zu erheben.
Quentin wandte sich ab und verließ das Büro.
Das gierige Funkeln in den Augen des Anwalts war ihm jedoch nicht entgangen.
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14
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Abbotsford
Vormittag des 10. März 1826
»Seltsam. Wirklich sehr seltsam.«
Sie saßen im Arbeitszimmer von Abbotsford: Sir Walter an seinem Schreibtisch, über die Genealogie und einige andere Bücher gebeugt, die er zu Recherchezwecken aus der Bibliothek geholt hatte; Mary in dem Sessel, der in der Ecke stand, auch sie in ein Buch vertieft, das sie sich herausgesucht hatte und das sich mit der Geschichte des Hauses Stewart befasste.
»Was ist so seltsam, Onkel?« Mary blickte von ihrer Lektüre auf und sah Sir Walter fragend an. Er hatte ihr erlaubt, sie so zu nennen, aber sie tat es nur selten. Teils aus alter Gewohnheit, teils, weil ihr Respekt und ihre Bewunderung für ihn es nicht zuließen.
»Bevor er starb, murmelte Manus etwas von einem Goldschatz«, fasste Sir Walter zusammen. »Von einem Goldschatz aus dem Besitz der Familie Stewart, der offenbar von Verrätern gestohlen wurde.«
»In der Tat«, stimmte Mary zu.
»Ich frage mich die ganze Zeit, wen er damit gemeint haben mag. Immerhin hat er diesen Leuten auch die Schuld an der Niederlage von Culloden gegeben. Und er schien sich noch immer vor ihnen zu fürchten. Wer also waren diese Verräter? Und in welcher Verbindung steht McCauley mit ihnen?«
»Womöglich in gar keiner«, gab Mary zu bedenken, »denn seine Motive, den Alten zu ermorden, waren offenbar sehr persönlicher Natur …«
»… was ihn nicht davon abgehalten hat, alle Hinweise auf den Verbleib des Schatzes mitzunehmen«, ergänzte Sir Walter und gab sich einem ausgiebigen Seufzen hin. »Ich denke«, sagte er dann, »dass die ganze Sache noch sehr viel verworrener ist, als ich es zunächst angenommen habe.«
»Hat nicht ein sehr kluger Mann einmal gesagt, dass alle Antworten auf die Fragen der Gegenwart in der Vergangenheit zu suchen sind?«, fragte Mary lächelnd.
»Das ist wahr«, gestand Sir Walter ein, »aber noch weiß ich nicht, welches die richtigen Fragen sind. Alle schottischen Patrioten sind überzeugt davon, dass Charles Edwards Niederlage bei Culloden nur auf Verrat zurückzuführen sein kann.«
»Das stimmt«, pflichtete Mary bei und hob das Buch hoch, in dem sie gerade las. »Diese Abhandlung hier erzählt die Geschichte der Revolte nach, bis zu ihrem blutigen Ende. Und ihr Verfasser besteht darauf, dass nur Verrat in den eigenen Reihen die schmachvolle Niederlage herbeigeführt haben kann.«
Sir Walter nickte. »Schon viele Niederlagen wurden auf diese Weise gerechtfertigt, dabei bedarf es keiner Verräter, um Charles Edwards Niederlage zu erklären. Der feine Prince Charlie mag ein mutiger junger Mann und von ungestümem Temperament beseelt gewesen sein – ein großer Stratege war er nicht. Bemüht, seinen Gegner, den Herzog von Cumberland, zu überraschen, ließ er seine Männer die ganze Nacht hindurch marschieren. Völlig übermüdet traten sie dann in der Ebene von Culloden zum Kampf an, ohne Schutz und ohne Deckung, fünftausend Hochländer gegen fast doppelt so viele Rotröcke. Die Folge war ein Massaker, an dessen Ende Cumberland nicht von ungefähr den unschmeichelhaften Beinamen der Schlächter erhielt.«
»Schrecklich«, flüsterte Mary.
»Um Culloden zu erklären, bedarf es keines Verrats, auch wenn das viele glauben wollen. Aber was hat es mit diesem Goldschatz auf sich, der Charles Edward angeblich gestohlen wurde?« Sir Walter schüttelte den Kopf. »Fragen über Fragen, und noch immer keine Antworten. Hat Manus noch etwas erwähnt, das für uns von Interesse sein könnte?«
»Er erwähnte eine Duchess«, brachte Mary in Erinnerung.
»Richtig.« Sir Walter nickte. »Im Gegensatz zu seinem äußerst wechselhaften Schlachtenglück war Bonnie Prince Charlie im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht eine äußerst glückliche Hand beschieden. Entsprechend groß ist die Zahl der gebrochenen Herzen, die er am Wegesrand zurückließ. Aus all den Beziehungen, die er pflegte, ging meines Wissens jedoch nur ein einziges Kind hervor, eine Tochter mit Namen Charlotte, die bis zu seinem Tod bei ihm lebte. Da sie jedoch aus keiner legitimen Beziehung stammte, weigerte er sich lange Zeit, sie als Tochter anzuerkennen. Erst einige Jahre vor seinem Tod konnte er sich dazu durchringen, wodurch sie in den Stand einer Duchess erhoben wurde. Womöglich ist sie es, die der alte
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