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Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Manus gemeint hat.«
    »Er sagte auch etwas von Kindern und einer Frau namens Serena … und von rasender Eifersucht.«
    »Hm«, brummte Sir Walter und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Soweit ich weiß, ist Charlotte ihr Leben lang kinderlos geblieben. Vielleicht war dies der Grund ihrer Eifersucht.«
    »Das wäre möglich«, räumte Mary ein. »Zusehen zu müssen, wie andere Frauen Kinder bekommen und sie großziehen, ihnen all ihre Liebe schenken dürfen, ist …«
    Die Stimme versagte ihr plötzlich, und Tränen traten ihr in die Augen. Rasch wischte sie sie beiseite, aber Sir Walter hatte sie bereits bemerkt.
    »Willst du darüber sprechen?«, fragte er nur.
    Sie sah ihn erschrocken an. »Wie hast du …?«
    »Schon als ich noch als Anwalt arbeitete, war ich recht gut darin, die Mienen der Menschen zu deuten«, erklärte Sir Walter, »und meine Tätigkeit als Romancier hat diese Gabe noch zusätzlich geschärft. Und in deinen Zügen, meine liebe Mary, habe ich Trauer gesehen, vom Tag unseres Wiedersehens an.«
    »Aber ich habe nicht … Ich wollte nicht …«
    »Ich weiß, dass du niemals über dich sprechen würdest. Und dass der gute Quentin dich vermutlich gebeten hat, nicht vor Fremden darüber zu reden. Die Sache ist nur – ich bin kein Fremder, mein Kind. Oder doch?«
    »Nein«, gab sie zu und schüttelte den Kopf. So viel Zutrauen, so viel Väterliches schwang in seinen Worten mit, dass sie nicht anders konnte, als ihr Schweigen zu brechen, zumal alles in ihr danach verlangte. Einmal hatte sie der Versuchung widerstanden und ihren Schmerz für sich behalten, jetzt konnte sie das nicht mehr. Wollte es nicht mehr.
    »Es war im letzten Frühjahr«, begann sie leise, wobei sie blicklos vor sich hinstarrte. Das Buch hatte sie beiseitegelegt und die Hände derart geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Quentin und ich hatten in Amerika ein neues Leben begonnen, und obwohl nicht alles so lief, wie wir es uns erträumt hatten, waren wir dennoch zufrieden und führten ein Leben in Freiheit. Und als ich schwanger wurde, dachten wir, unser Glück wäre vollkommen.« Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht angesichts der Erinnerung, die selbst nach all der Zeit in ihrem Herzen noch einen warmen Widerhall fand.
    »Unser Kind«, fuhr sie fort, »würde in Amerika zur Welt kommen, nicht als Engländer und nicht als Schotte, sondern als ein Spross der Neuen Welt. Ohne die gesellschaftlichen Zwänge, die mich eingeengt hatten, frei, das zu werden, was immer es wollte. Entsprechend groß war unsere Freude, und so vergingen die Wochen und Monate, und das Kind wuchs in mir heran.« In einer instinktiven Geste strich sie über ihren Unterbauch, als wähnte zumindest ein Teil von ihr das Kind noch immer dort.
    »Ich konnte fühlen, wie es größer und kräftiger wurde. Quentin war überzeugt davon, dass es ein Junge werden würde, während ich fest daran glaubte, dass es ein Mädchen war. Und dann kam schließlich der Tag …« Sie schluckte hörbar, von nun an kostete jedes weitere Wort Überwindung.
    »Als die Wehen einsetzten, war es noch früher Morgen. Quentin eilte, um die Hebamme zu holen, die auch sofort kam. Die Wehen wurden stärker, und noch vor Mittag brachte ich unser Kind zur Welt. Den Augenblick, als es geboren wurde, werde ich niemals vergessen. Zuerst der Schmerz, dieser unsägliche Schmerz … und dann dieses Glück, dieses unendliche Glück.
    Und dann«, fügte sie flüsternd und mit fast versagender Stimme hinzu, »diese Stille. Diese entsetzliche, trostlose Stille. Kein Schrei. Kein Atmen. Nichts.«
    Sie blickte auf, ihre Augen hatten sich erneut mit Tränen gefüllt. Aber diesmal unternahm sie nichts dagegen. »Es war tot«, hauchte sie. »Unser Kind war tot.«
    »Mary, das … das …«
    Obschon Sprache Sir Walters Profession war und obgleich er seinen Lebensunterhalt damit verdiente, stets die richtigen Worte zu finden – in diesem Augenblick suchte er sie vergebens. Schweigend saß er ihr gegenüber, während sie leise fortfuhr.
    »All die Monate habe ich es in mir getragen, habe sein Leben gefühlt und das kleine Herz, das unter meinem Herzen schlug, und dann, als es zur Welt kommen sollte …« Sie unterbrach sich, schüttelte den Kopf, vergrub ihr Gesicht in den Händen. »All das Glück, das ich eben noch verspürt hatte«, fuhr sie mit gedämpfter Stimme fort, »lief ins Leere. Ich hatte das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen, tiefer und tiefer. Und es gibt Tage, an denen

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