Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
fielen übereinander her, wild und voller Leidenschaft, zwei Liebende, die einander lange entbehrt hatten.
»Geliebter«, hauchte Brighid. »Endlich sehen wir uns wieder!«
»Endlich«, bestätigte er, während seine Hand bereits an dem blauen Kleid mit dem hochgeschlossenen, rüschenbesetzten Kragen hinabwanderte. Kurzerhand wühlte er sich unter die Rockschöße, so ungestüm und voller Begehrlichkeit, dass ihr ein spitzer Schrei entfuhr. Er hob sie hoch und trug sie zu dem grob gezimmerten Tisch, auf den sie sich rücklings niederließ, dabei stieß sie die Kerze um, sodass sie herabfiel und über den gestampften Boden rollte, noch immer brennend und dabei unstete Schatten an die umliegenden Wände werfend, so, als wären es nicht zwei Liebende, die einander begegneten, sondern Verschworene, die ein geheimes, verbotenes Ritual vollführten.
Kein Wort fiel, während er in sie eindrang, nur ihr Keuchen war zu hören, voller Zorn, Leidenschaft und Furcht.
Der Liebesakt war so kurz wie heftig. Als er endete, blieb sie reglos auf dem Tisch liegen, sah ihrem Geliebten, dessen Gesicht dicht über ihrem schwebte, tief in die Augen.
»Du hast die Karte?«, flüsterte sie.
Er nickte. »Manus hatte sie.«
»Manus?« Brighid zuckte spürbar zusammen. »Ist er …?«
»Tot«, erwiderte er nur.
»Endlich.« Sie schloss die Augen, genoss die Nachricht wie süßen Wein. »Nach all der Zeit.«
»Jedoch …«
»Was?«, wollte sie wissen.
»Ein anderer ist aus dem Totenreich zurückgekehrt.«
»Wer?«
»Scott«, sagte er nur – und das genügte, um sie gegen ihn aufzubringen. In einer Mischung aus Wut und Enttäuschung stieß sie ihn von sich und setzte sich auf. Die Zuneigung war aus ihren Zügen gewichen, nur noch Zorn stand darin zu lesen.
»Wie ist das möglich?«, wollte sie wissen. »Ich dachte, er wäre erschossen worden?«
»Offenbar war das nur eine Finte«, erklärte er einigermaßen hilflos. »Scott wollte alle Welt glauben machen, dass er nicht mehr am Leben sei.«
»Aber warum?«
»Weil er wohl eine Verschwörung vermutet, einen Angriff auf seine Person und seine Familie.«
Sie glitt vom Tisch und strich ihr Kleid glatt, so gut sie es vermochte. »Glaubst du, er ahnt etwas?«
»Er weiß von dem Schatz. Und er weiß, dass ich die Karte habe. Vielleicht sollten wir besser …«
»Was tun?«, zischte sie. »Unseren Plan aufgeben?«
»Wir haben, was wir wollten«, wandte er ein. »Wir könnten uns das Gold holen und damit verschwinden, zurück nach Amerika. Niemand würde uns dort verfolgen, und wir wären frei.«
»Und unsere Feinde?«, fragte sie spitz, wobei ihre Züge sich hasserfüllt verzerrten. »Sollen sie davonkommen?«
»Manus ist tot. Ich selbst habe ihn gerichtet.«
»Und? Erwartest du einen Orden dafür, dass du einen alten Greis getötet hast?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht der Plan.«
»Aber wenn Scott uns doch auf den Fersen ist?«
»Winston, Winston!« Sie schnalzte mitleidig mit der Zunge. »Mein guter Winston. So bist du schon immer gewesen, selbst damals, als wir noch klein waren. Stets musste ich dir zeigen, wohin uns der Weg führt.«
»Und dafür bin ich dir dankbar«, versicherte er. »Aber die Dinge haben sich geändert. Scott und sein Neffe wissen jetzt, dass ich nicht auf ihrer Seite stehe.«
»Und sonst wissen sie nichts?« Brighid lachte heiser auf. »Dann ist noch nichts verloren. Wir müssen nur rasch und entschlossen handeln. Wir machen weiter wie geplant.«
»Wie geplant?« Winston schüttelte den Kopf. »Aber wenn ich nach Dirleton zurückkehre …«
»… wird Chamberlain dort auftauchen, ganz zweifellos«, meinte sie überzeugt.
»Und wenn er von der Sache erfahren hat?«
»Was macht es für einen Unterschied?« Sie zuckte mit den schmalen Schultern. »Du wirst weiter deine Rolle spielen und das tun, was wir vereinbart haben. Wenn unser Plan gelingen soll, brauchen wir Chamberlain.«
»Und die Runenbrüder?«
Sie nickte. »Ihr Anführer, Scrymgour, ist ebenso gierig wie misstrauisch. Aber solange ich ihn davon überzeugen kann, dass ich die Erfüllung seiner Träume von Macht und Reichtum bin, wird er tun, was ich ihm sage.«
»Ein gefährliches Spiel.«
»Das haben wir von vornherein gewusst, oder?«
»Noch können wir zurück«, gab Winston zu bedenken.
»Und alles ungesühnt lassen? Auf keinen Fall. Die Mörder müssen bestraft werden, einer wie der andere. Oder zweifelst du etwa daran? Willst du mich ausgerechnet jetzt
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