Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
Schultern, knetete den Zylinder in seinen Händen. Der Pförtner hatte ihm gesagt, dass ein englischer Gentleman ihn zu sprechen wünsche. Gleich nach seiner Rückkehr solle er auf dessen Zimmer kommen, und McCauley hatte keinen Augenblick gezweifelt, wer dieser Gentleman war. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich unter dieser Adresse zu finden bin.«
»Das haben Sie.«
»Und dennoch haben Sie mir misstraut? Wieso?«
»Nun, vielleicht deshalb, weil Sie jüngst in den Besitz einer Schatzkarte gelangt sind«, entgegnete Chamberlain zwischen zwei tiefen Zügen, und es war schwer zu sagen, was er mehr genoss, die Zigarre oder die Wirkung seiner Worte.
Das Lächeln, das er eben noch zur Schau getragen hatte, verschwand aus McCauleys Zügen. Rasch trat er ein und schloss die Tür hinter sich, damit niemand sie belauschte.
»Sieh an«, meinte er dann. »Neuigkeiten wie diese scheinen sich rasch zu verbreiten.«
»In der Tat«, stimmte Chamberlain zu. »Allerdings habe ich keinen Moment lang geglaubt, was dieser Trottel von Hay mir erzählt hat: dass Sie ein Freund der Familie Scott seien und sich auf die Suche begeben hätten, um das Gold für sie zu finden. Stattdessen wurde mir plötzlich klar, weshalb Sie die ganze Zeit über ein so lebhaftes Interesse an Abbotsford hatten, nämlich um sich den Schatz unter den Nagel zu reißen.«
»Schuldig, Herr Anwalt«, bekannte McCauley. »Ich wusste, dass der entscheidende Hinweis auf das Gold in Abbotsford verborgen war. Aber kann Ihnen das letztlich nicht gleichgültig sein? Mein Teil der Abmachung war es, Scotts Neffen dazu zu bringen, dass er die Stewart-Erbin ins Land schmuggelt, und das habe ich getan.«
»Das haben Sie«, räumte Chamberlain ein. »Aber wenn Sie glauben, dass ich Sie damit so einfach aus unserem Handel entlasse, haben Sie sich geirrt. Andernfalls könnte ich unseren Auftraggebern berichten, dass Sie ein doppeltes Spiel treiben, und das würde diesen sicher missfallen. Die Dame, die kennenzulernen Sie an jenem Abend in Soho das Vergnügen hatten, ist für ihre Rachsucht berüchtigt.«
»Was wollen Sie?«, fragte McCauley nur.
»Um wie viel geht es?«, fragte Chamberlain dagegen.
»Einhundert Goldbarren.«
»Eine hübsche Summe.« Chamberlain legte den Kopf in den Nacken und paffte kleine Wolken zur Zimmerdecke. »In diesem Fall möchte ich die Hälfte.«
»Das ist ein großer Brocken, den Sie da abbeißen wollen«, stellte McCauley fest. »Sind Sie sicher, dass sie ihn auch schlucken können?«
»Das überlassen Sie getrost mir, mein Freund. Wenn Sie Milton Chamberlain einschüchtern wollen, sollten Sie sich ein wenig mehr Mühe geben. Unterschätzen Sie mich nicht.«
»Wer sagt, dass ich Sie einschüchtern will? Wer sagt, dass ich Sie hintergehen wollte?«
»Nun unterschätzen Sie mich wirklich! Halten Sie mich tatsächlich für so naiv, McCauley? Es steht doch außer Frage, dass Sie es von Anfang an auf dieses Gold abgesehen hatten, schon als Sie im vergangenen Jahr bei mir vorsprachen und um ein Treffen mit meinen Auftraggebern baten. Wie haben Sie überhaupt von deren Plänen erfahren?«
»Dazu gehörte nicht viel. Da ich wusste, dass sich der entscheidende Hinweis auf den Verbleib des Schatzes in Abbotsford verbirgt, begann ich Nachforschungen bezüglich Walter Scotts anzustellen. Dabei erfuhr ich, dass eine Gruppe einflussreicher Finanziers offenbar großes Interesse daran hegt, ihn zu ruinieren – und das brachte mich auf den Gedanken, ihnen einen Handel anzubieten.«
»Clever, in der Tat«, musste Chamberlain zugeben. »Nur hätten Sie nicht versuchen sollen, mich zu hintergehen.«
»Das habe ich nicht, ganz im Gegenteil«, widersprach McCauley. »Warum, denken Sie, bin ich hierhergekommen, obwohl ich doch wusste, dass Sie diese Adresse kannten und mich hier womöglich suchen würden?«
»Wir alle machen Fehler«, erwiderte Chamberlain grinsend.
»So, denken Sie? Dann lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen, Chamberlain. Danach können Sie sich immer noch überlegen, ob Sie sich ein Stück vom Kuchen abschneiden wollen. Ich bin nämlich keineswegs der Einzige, der von diesem Goldschatz Kenntnis hat und ihn in seinen Besitz bringen will.«
»Ach nein?«
»Haben Sie jemals von der ›Bruderschaft der Runen‹ gehört?«
Chamberlain hob eine Braue. »Sollte ich?«
»Es ist eine Vereinigung radikaler Sektierer, die schon in den Tagen Bravehearts und König Roberts existierte. Durch die Jahrhunderte hat sie versucht, die
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