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Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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skeptisch.
    »Durchaus.« Mary nickte. Sie hütete sich davor, ihm etwas von der Gestalt unten auf der Straße zu erzählen. Zum einen war sie sich nicht sicher, ob sie überhaupt richtig gesehen hatte, zum anderen wollte sie ihrem Ehemann nicht noch mehr Anlass zur Sorge geben. »Du kannst getrost zu deiner Arbeit zurückkehren«, sagte sie und rang sich ein Lächeln ab, das er erwiderte.
    Einen endlos scheinenden Augenblick standen sie voreinander, und sie konnte sehen, wie sein Blick an ihrer zarten, zerbrechlich wirkenden Gestalt hinabwanderte, bis hin zu ihren nackten Füßen. Das Nachtgewand, das sie trug, war aus gerauter Baumwolle, dennoch fröstelte sie.
    »Ich werde jetzt wieder zu Bett gehen«, flüsterte sie.
    »Natürlich.« Er nickte und schien sich bereits abwenden zu wollen – dann trat er jäh auf sie zu, schloss sie in die Arme und zog sie eng an sich heran.
    Sie spürte seinen Atem und seine Wärme, und die Vertrautheit seiner Berührung verschaffte ihr ein wenig Trost. Aber sie war nicht in der Lage, die Zärtlichkeit zu erwidern. Wie ein Stück Holz lag sie in seinen Armen, fühlte sich schlecht und schuldig dabei und konnte dennoch nichts dagegen tun.
    »Verzeih«, hauchte er, während er wieder von ihr abließ. »Ich wollte nicht …«
    »Das hast du nicht«, versicherte sie. Ihr war klar, dass manch anderer Ehemann es als sein ureigenstes Recht betrachtet hätte, sich ihrer zu bemächtigen, nötigenfalls auch mit Gewalt. Quentin gehörte nicht zu dieser Sorte. Der Blick jedoch, mit dem er sie bedachte, während er langsam von ihr zurückwich, traf Mary bis ins Mark, denn er betrachtete sie wie eine Fremde.
    »Verzeih«, sagte er noch einmal, dann verließ er die Schlafkammer und ging wieder nach unten in sein Arbeitszimmer.
    Wortlos lauschte sie, wie seine Schritte über die Stufen verklangen, und einmal mehr füllten sich ihre Augen mit Tränen.

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    5
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    Hyde Park, London
Tags darauf
    »Ich danke Ihnen, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind, Mr. Ballantyne.«
    James Ballantyne sah zu dem Mann auf, der oben auf dem Podest stand. Alles an ihm, von den aus feinstem Leder gefertigten Stiefeln über den grauen, von einem Schultercape umhüllten Mantel bis zu dem hohen Zylinderhut, war Respekt gebietend, ja einschüchternd. Milton Chamberlain war ein Gentleman, wie er im Buche stand, ein arrivierter Anwalt, der zum Inner Temple gehörte. Bei seinen Klienten genoss er einen außergewöhnlich guten Ruf, der schon bis ins Königshaus gedrungen war. Bei seinen Gegnern hingegen war sein Name berüchtigt. Und Ballantyne gab sich keinen Illusionen darüber hin, zu welcher Kategorie er selbst gehörte …
    »Kommen Sie, Mr. Ballantyne«, verlangte Chamberlain, wobei sich seine asketisch wirkenden, bartlosen Züge zu einem jovialen Grinsen verzerrten. »Kommen Sie zu mir herauf, ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    Ballantyne sah sich nicht in der Verfassung zu widersprechen. Über die schmale Treppe erklomm er das Podest, auf dem man dem eisigen Wind, der um diese frühe Stunde durch den Hyde Park wehte, schutzlos ausgesetzt war.
    »Sehen Sie«, forderte Chamberlain Ballantyne auf und reichte ihm das Fernrohr, das er in der einen Hand hielt. In der anderen hatte er einen Stock, dessen silberner Knauf in Form eines Pferdekopfs gearbeitet war.
    Ballantyne, der nicht wusste, worauf der Anwalt hinauswollte, nahm das Fernrohr zögernd entgegen. Chamberlain bedeutete ihm, einen Blick auf das von Hügeln und blattlosen Bäumen übersäte Gelände zu werfen, das sich westlich des Stanhope Gate erstreckte, und Ballantyne hob das Fernrohr folgsam ans Auge und spähte hindurch.
    Was er sah, waren drei Reiter.
    Dicht gebeugt saßen sie über großen Pferden, deren schlanke Beine förmlich über den hart gefrorenen Boden zu fliegen schienen. Die Mäntel der Reiter flatterten wie Kriegsbanner im Wind, während sie einander ein Rennen lieferten. Eines der Tiere war von dunkelbrauner, fast schwarzer Farbe mit weißen Fesseln, die beiden anderen waren graue Schecken. Ballantyne verstand nicht viel von Pferden, aber auch ihm war klar, dass dies keine gewöhnlichen Tiere waren.
    »Wundervoll, nicht wahr?«
    »In der Tat«, log Ballantyne. Tatsächlich hatte er nie verstanden, warum sich jemand für Pferderennen begeisterte. Was, in aller Welt, war so faszinierend daran? Ballantynes Welt war eine andere, entschieden feingeistigere.
    »Das Tier, auf das Sie Ihre Aufmerksamkeit richten sollten, ist das dunkle«,

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