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Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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die Antworten, nach denen Sie suchen, nicht in der alten Heimat zu finden sind?«
    »Kaum«, wehrte Quentin kopfschüttelnd ab. »Es geht um eine Testamentseröffnung. Ein Onkel von mir ist unerwartet von uns gegangen.«
    »Mein Beileid«, versicherte der Arzt. »Aber lassen Sie Mary dennoch nicht allein. Dies hier«, er deutete auf das Fläschchen in Quentins Hand, »kann helfen, ihren Schmerz ein wenig zu lindern. Überwinden kann sie ihn jedoch nur mit Ihrer Hilfe.«
    Quentin hörte Dunbars Worte, bemerkte die Aufforderung in seinem Blick. Womöglich, dachte er, hatte der Arzt recht, und ein Ortswechsel war genau das, was Mary brauchte. Aber was, wenn er sich irrte? Der Tod Sir Walters hatte Mary zugesetzt und ihre Trauer noch vergrößert. Was, wenn durch die Reise nach Schottland alles noch schlimmer wurde?
    Quentin ertappte sich dabei, dass er zweifelte – nicht an Mary oder Dr. Dunbar, sondern an sich selbst. Würde er die Kraft haben, Mary zu halten, wenn sie noch tiefer fiel? Würde er dazu in der Lage sein?
    »Ich weiß, was Sie jetzt denken«, versicherte Dunbar, »aber Sie sollten sich nicht zu sehr sorgen. Bisweilen muss man die Dinge einfach dem Leben überlassen.«
    »Dazu, Doktor, muss man dem Leben erst einmal vertrauen«, wandte Quentin ein.
    »Richtig«, gab der Arzt zu, »und ich kann verstehen, dass nach allem, was geschehen ist, dieses Vertrauen ins Wanken gerät. Aber wenn Sie wirklich jemand sind, der nach dem Sinn sucht, nach einem Grund, aus dem heraus die Dinge geschehen, so ist Ihnen vielleicht auch schon der Gedanke gekommen, dass auch diese Reise in die alte Heimat nicht von ungefähr erfolgt sein, sondern einem bestimmten Zweck in Ihrem Leben dienen könnte.«
    Quentin schnitt eine Grimasse. »Ich dachte, Sie wären kein Priester?«
    »Das bin ich auch nicht. Aber ich glaube daran, dass eine höhere Macht unsere Schritte lenkt, und dass Gott für jede Tür, die er schließt, ein Fenster öffnet.«
    Quentin nickte. Er verstand, was Dunbar ihm damit sagen wollte, aber er war längst nicht überzeugt. Hatte nicht Sir Walters gewaltsamer Tod eben erst bewiesen, dass es keinen tieferen Sinn im Leben gab? Keine Gerechtigkeit?
    »Bisweilen geschehen schlimme Dinge, mein Freund«, sagte der Arzt und schlug dabei einen Tonfall an, der Quentin fast ein wenig an seinen verstorbenen Onkel erinnerte. »Aber das bedeutet nicht, dass nicht auch gute Dinge geschehen.«
    »Ist das so?«
    »Ich wünsche Ihnen eine gute Reise. Und wie immer Sie sich entscheiden mögen, grüßen Sie Mary ganz herzlich von mir.«
    »Das werde ich. Danke, Doktor.«
    »Auf Wiedersehen, Mr. Hay.«
    »Auf Wiedersehen, Dr. Dunbar.«
    Quentin wandte sich ab und verließ das holzgetäfelte Behandlungszimmer, durchquerte den Vorraum mit den Vitrinen, in denen sich unzählige Arzneien reihten. Das Fläschchen mit der Essenz, die Dunbar ihm gegeben hatte, steckte er in die Manteltasche, dann trat er hinaus auf die Straße.
    Eisige Kälte schlug ihm entgegen, in der sich sein Atem als weißer Dampf niederschlug. Quentin zog den Mantelkragen hoch und den Schal enger, dann ging er die schneebedeckte Cortland Street hinab, zurück zur Hauptstraße.
    Es war noch früh am Morgen, entsprechend ruhig war es in den Straßen. Nur vereinzelt kamen Kutschen die gefrorene Fahrbahn herab oder fliegende Händler, die mit ihren Karren zum Markt eilten. Ohne die Welt um sich herum wirklich wahrzunehmen, schloss sich Quentin ihnen an, in düstere Gedanken versunken.
    Zuerst jener furchtbare Schicksalsschlag; dann Marys beklagenswerter Zustand und nun auch noch der Tod von Sir Walter … Was auch immer Quentin als gut und wertvoll erachtete, schien verloren zu gehen. Sein Leben war im Begriff, sich aufzulösen – und er gab sich die Schuld dafür.
    Was hatte er getan, welchen Fehler hatte er begangen, dass das Leben ihn so hart dafür bestrafte? War es falsch gewesen, der alten Heimat den Rücken zu kehren und in die Neue Welt zu gehen? Waren Mary und er doch nicht füreinander bestimmt gewesen, wie er stets geglaubt hatte? War es naiv und dumm gewesen, an solch romantischen Unfug zu glauben?
    Zweifel nagte in ihm wie ein Geschwür, Verunsicherung quälte ihn. Er musste an die Vergangenheit denken, an Mary und an Sir Walter und an die Dinge, die sie gemeinsam erlebt hatten. Im Nachhinein schien damals alles sehr viel einfacher gewesen zu sein – und klarer. Oder hatte es nur daran gelegen, dass Quentin in Sir Walter einen zuverlässigen

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