Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
vergewissern, dass niemand sie belauschte. »Halte dich von Manus fern, hörst du? Er ist der Duchessa treu ergeben.«
»Das bin ich auch«, versicherte Serena.
Ginesepina schüttelte den Kopf. »Nicht auf diese Weise«, entgegnete sie, und etwas an der Art, wie sie es sagte, wollte Serena nicht gefallen.
Schon zuvor war sie der Ansicht gewesen, dass der wortkarge Leibdiener etwas Bedrohliches an sich hatte, es aber auf seine hünenhafte Postur, seine stets dunkle Kleidung und das schulterlange schwarze Haar geschoben, die alle zu seiner düsteren Erscheinung beitrugen. Ginesepina jedoch schien sich tatsächlich vor ihm zu fürchten. Warum?
Serena wagte nicht, danach zu fragen, und setzte schweigend ihre Arbeit fort. Nach den Zwiebeln kamen die Rüben, dann die Kräuter, während Ginesepina den großen Kessel anheizte, in dem sie ihr Risotto zubereitete. Als die Gäste schließlich eintrafen, blieben Serena und sie in der Küche. Das Essen wurde im Speisesaal serviert, danach begaben sich die Herrschaften hinauf in den ersten Stock, wo sie bis in die frühen Morgenstunden blieben.
Und noch ehe der neue Tag anbrach, verließen die Gäste das Haus wieder, so rasch und unauffällig, wie sie gekommen waren.
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7
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New York
16. Januar 1826
»Und Sie glauben, davon wird es besser?«
Mit einer Mischung aus Hoffnung und Skepsis blickte Quentin auf das kleine Fläschchen aus braunem Glas, das er in der Hand hielt. Die Aufschrift war in Latein gehalten und sagte ihm nicht viel, aber er hoffte, dass die klare Flüssigkeit darin halten würde, was der Arzt versprach.
»Es kommt nicht darauf an, was ich glaube.« Dr. Dunbar, ein untersetzter, breitschultriger Mann mit ergrautem Backenbart, schüttelte den Kopf. »Diese Essenz hilft Ihrer Gattin, zur Ruhe zu kommen, doch sie kann keine Wunder bewirken. Wichtig ist, dass sie wieder zu sich selbst findet.«
Quentin nickte, noch immer auf das Fläschchen starrend. Da Dunbar aus der alten Heimat stammte, war er der Arzt seines Vertrauens. Doch angesichts dessen, was Mary widerfahren war, schienen seine Künste zu versagen.
»Es ist, als ob sie eine andere geworden wäre«, berichtete Quentin tonlos. »An manchen Tagen scheint sie wieder sie selbst zu sein, dann schöpfe ich Hoffnung, dass alles wieder so werden könnte wie früher … Aber dann kehrt die Traurigkeit zurück, und alles beginnt von vorn.«
»Ich weiß.« Dunbar, der hinter seinem Schreibtisch aus massivem Eichenholz saß, nickte, Verständnis sprach aus seinen kleinen, tief liegenden Augen. »Gemütsschwankungen sind in solchen Fällen nicht ungewöhnlich. Mary wird noch Zeit brauchen, um all das zu verarbeiten.«
»Sie träumt viel in letzter Zeit«, fuhr Quentin fort, »und sie versucht, in ihren Träumen Zusammenhänge zu entdecken.«
»Auch das ist nicht weiter verwunderlich«, versicherte der Arzt. »Wenn wir Menschen etwas verlieren, was uns wichtig war, so pflegen wir stets nach dem Grund dafür zu fragen. Wir suchen nach Zeichen, die uns das Leben womöglich gegeben hat, nach Sinn.«
»Das ist wahr.« Quentin nickte und sah fragend von dem Fläschchen auf. »Und – wenn wir ihn nicht finden?«
Dunbar hielt seinem prüfenden Blick eine Weile stand. Dann spielte ein mildes Lächeln um seine Züge. »Ich bin kein Priester, Mr. Hay«, sagte er dann. »Es ist nicht meine Aufgabe, Ihnen Antworten zu geben, sondern dafür zu sorgen, dass sich das Befinden Ihrer Gattin bessert. Alles andere liegt bei Ihnen.«
»Bei mir?«
»Helfen Sie Mary dabei, ihren verlorenen Lebenssinn wiederzufinden. Sprechen Sie mit ihr, zeigen Sie ihr, dass Sie sie verstehen und noch immer lieben.«
»Das würde ich gerne, Doktor«, versicherte Quentin. »Aber wann immer ich …«
»Haben Sie Geduld«, redete Dunbar ihm zu. »Wenn Ihnen etwas an Ihrer Frau liegt, dann zeigen Sie Verständnis. Versichern Sie ihr, dass sie keine Schuld an dem trägt, was geschehen ist. Und vor allen Dingen, lassen Sie sie nicht lange allein. Sie bedarf Ihrer Unterstützung in diesen Tagen.«
»Da gibt es ein Problem«, wandte Quentin ein. »Ich muss nach Schottland reisen, um eine dringende familiäre Angelegenheit zu klären.«
»Dann nehmen Sie Mary mit.«
»Was?« Quentin starrte den Doktor fassungslos an. »Ist das Ihr Ernst? Ich soll meiner Frau eine solche Strapaze zumuten? In ihrem Zustand?«
»Warum nicht?« Dunbar zuckte mit den breiten Schultern. »Die Abwechslung wird ihr guttun. Und überdies: Wer sagt Ihnen, dass
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