Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
andere erwiderte die Geste, dann stieg er aus dem Sattel, band sein Pferd an einem der verkrüppelten Bäume fest und trat zu den Steinen.
Scrymgour schwieg. Er sah die Augen des anderen wissbegierig durch die Sehschlitze der Maske funkeln und fragte sich unwillkürlich, wer sich wohl dahinter verbergen mochte – nur um sich sogleich selbst dafür zu schelten. Dass die Mitglieder der Bruderschaft einander nicht kannten, hatte sie nach der verheerenden Niederlage vor der völligen Zerschlagung bewahrt. Zwar waren einige Mitbrüder, die so unvorsichtig gewesen waren, sich anderen Mitgliedern zu offenbaren, verhaftet worden, vielen jedoch war es gelungen, sich der Verfolgung durch das britische Militär zu entziehen. Und so hatten sie all die Jahre ihr normales Leben weitergelebt, unbehelligt und unerkannt … bis zu diesem Tag.
Der Platz zwischen den Steinen füllte sich.
Immer mehr maskierte Reiter in schwarzen Roben trafen ein, insgesamt sechzehn Männer, die die Überreste von dem repräsentierten, was einst eine stolze und mächtige Verbindung gewesen war. Alle anderen hatten es wohl vorgezogen, den Aufruf zu überhören und der Versammlung fernzubleiben.
Verräter, dachte Scrymgour missbilligend.
Feiglinge.
Die Blicke der vermummten, in durchnässte Roben gehüllten Gestalten richteten sich schweigend auf ihn. Einen Augenblick lang genoss er die Aufmerksamkeit, die ihm erstmals nach so langer Zeit wieder zuteil wurde, dann trat er in die Mitte des Kreises und hob in einer Demutsgeste die Arme.
»Ich danke euch, meine Brüder, dass ihr dem Aufruf gefolgt seid«, sprach er in die Runde. Die Maske veränderte seine Stimme, ließ sie dumpf und fremdartig klingen.
»Ich will hoffen, es rechtfertigt das Risiko der Entdeckung«, erwiderte einer von denen, die zuletzt eingetroffen waren. Seine Maske hatte die schmale Form eines Rabenschnabels, während die von Scrymgour einen Wolf darstellte. »Leichtfertig sollten wir uns diesem nicht aussetzen!«
»Das liegt mir fern, meine Brüder«, versicherte Scrymgour. »Jedoch ist eine Veränderung eingetroffen, über die ich euch in Kenntnis setzen muss.«
»Eine Veränderung?«, fragte ein anderer. »Davon will ich nichts hören! Ich habe genug von diesem gefährlichen Unfug!«
»Warum bist du dann gekommen, Bruder?«, fragte Scrymgour ihn direkt. »Es hat dich niemand dazu gezwungen, an diesem Treffen teilzunehmen, oder etwa doch?«
»Nun – nein«, kam der andere nicht umhin zuzugeben.
»Wir alle, die wir uns hier eingefunden haben, haben die Gefahr der Entdeckung auf uns genommen, weil wir das Gefühl haben, dass unsere Mission noch nicht beendet, dass die Geschichte uns noch etwas schuldig ist. Ist es nicht so?«
Hier und dort wurde vereinzelt genickt, die Zustimmung war jedoch verhalten, genau wie er es erwartet hatte. »Ich kenne eure Bedenken«, sagte er deshalb, »und ich weiß um eure Ängste. Jeder von euch hat eine Familie, die es zu versorgen, und Pflichten, die es zu erfüllen gibt. Einige von euch stehen einem Gemeinwesen vor oder bekleiden andere öffentliche Ämter …«
»Das alles wissen wir«, versicherte der Furchtsame, der offenbar möglichst rasch wieder verschwinden wollte. »Was willst du uns damit sagen?«
»Ich will damit sagen, dass ebenjenes Pflichtgefühl, das euch an eure Familien und Ämter bindet, euch auch an eure Treue zu dieser Bruderschaft erinnern sollte und an den Eid, den wir alle geleistet haben.«
»Seither ist viel geschehen«, erwiderte der andere. »Unsere Pläne wurden aufgedeckt, unsere Vereinigung zerschlagen. Noch heute müssen wir uns verbergen, weil wir um unsere Entdeckung fürchten müssen! Der Fluch des Runenschwertes lastet noch immer auf uns und wird uns verfolgen bis ins Grab!«
Wieder Zustimmung. Scrymgours Kiefer begannen unter der Maske zu mahlen. Er verspürte kein Verlangen danach, sich seine Pläne von ein paar Zauderern zunichtemachen zu lassen.
»Malcolm of Ruthven war ein großer Mann«, erwiderte er dann, wobei er sich zur Ruhe zwang. »Er war unser Anführer und hat diese Bruderschaft zu ungeahnten Höhen geführt. Aber er war zu ehrgeizig, wollte zu viel in zu kurzer Zeit und ist darüber hochmütig geworden. Er wollte alle Macht für sich, obwohl ihm jede Legitimation dazu fehlte. Dafür haben ihn die alten Götter bestraft – und uns mit ihm.«
Er ließ seine Worte einen Augenblick wirken, dann fuhr er fort: »Aber die Zeit der Bestrafung kann nicht ewig währen. Viele von uns
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