Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
nicht allein lassen«, beteuerte Mary. »Ich habe einige Nachforschungen angestellt. In der Nähe von Paisley sind einige Nonnen des Benediktinerordens dabei, eine aufgelassene Abtei mit neuem Leben zu erfüllen. Dort könnte Brighid sicher bleiben.«
»Und wie lange?«
»Wie lange wäre sie bei uns geblieben?«, fragte Mary dagegen.
Quentin starrte sie an, unsicher, verwirrt. »Das ist doch verrückt«, meinte er kopfschüttelnd. »Ich verstehe dich nicht! Warum plötzlich dieser Sinneswandel? Was ist passiert?«
»Nichts ist passiert«, beteuerte sie. Der Ausdruck in ihrem Gesicht wurde flehend, ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Nichts ist passiert, Geliebter. Tu nur, worum ich dich bitte, dann wird alles gut. Bring Brighid nach Paisley und übergib sie der Obhut des Klosters. Dort wird ihr geholfen.«
»Und wer hilft dir?«, wollte Quentin wissen. »Ich meine, ich war so froh, dass du jemanden gefunden hattest, der …«
»… der mich meine Trauer vergessen und wieder der Mensch werden ließ, der ich einmal war«, brachte Mary den Satz zu Ende, sehr viel direkter, als er es formuliert hätte.
»Nun – ja«, stimmte er zögernd zu.
»Das war ich auch«, versicherte sie. »Aber jetzt nicht mehr. Ich merke, wie Brighids Gegenwart mir mehr und mehr zusetzt, mich geradezu erdrückt. Das ist nicht gut.«
»Dann … geht es dabei also gar nicht um Brighid, sondern um dich?«, fragte Quentin vorsichtig.
Sie wich seinem Blick aus und starrte zu Boden. Schließlich nickte sie.
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«, fragte Quentin. »Du weißt, dass ich niemals etwas tun könnte, das dir schadet. Wenn ich vor die Wahl gestellt werde, zwischen deinem und ihrem Wohl zu entscheiden, so …«
»Das weiß ich«, unterbrach sie ihn leise. »Ich wollte nicht zugeben, dass ich der wahre Grund dafür bin, weil ich mich dafür schäme. Aber genauso ist es. Brighid muss gehen, weil ich ihre Anwesenheit nicht länger ertrage.«
»Aber ich dachte, ihr würdet euch so gut verstehen …«
Mary bedachte ihn mit einem vielsagenden Blick. »Das tun wir auch – und genau das setzt mir zu. Denn bei allen Gemeinsamkeiten, die zwischen uns bestehen, ist Brighid wie ein verzerrtes Spiegelbild von mir. Beständig hält sie mir vor Augen, was ich sein könnte, wenn ich nur ein wenig stärker wäre und unnachgiebiger gegenüber meinen Ängsten. Sie hat offensichtlich ein solch hartes Los zu ertragen – und dennoch ist von ihr kein Laut der Klage oder des Selbstmitleids zu hören. Ich hingegen …«
»Auch dir hat das Schicksal übel mitgespielt«, widersprach Quentin, »und du hattest jeden Grund zu trauern. Ich liebe dich nicht für das, was du vielleicht sein könntest, sondern für das, was du bist, Mary Hay. Und ich hoffe, dass du noch immer den Bauerntölpel liebst, der ich bisweilen bin.«
»Das ist wahr«, stimmte sie mit bebender Stimme zu, »aber zugleich auch der liebevollste Ehemann, der sich denken lässt. Wirst du tun, worum ich dich bitte?«
Quentin hielt ihrem fragenden Blick stand.
Er konnte noch immer nicht behaupten, zur Gänze zu verstehen, was sie zu diesem Schritt bewogen hatte. Aber die Sache schien sie innerlich aufzuwühlen. Sie war den Tränen nahe, und das Letzte, was Quentin wollte, war, dass sie in ihren alten Zustand zurückfiel.
»Also gut«, erklärte er sich einverstanden. »Wenn dir so viel daran liegt, werde ich dafür sorgen, dass sie uns verlässt.«
»Ich danke dir.« Mary nickte. Ein dünnes Lächeln huschte über ihre Züge, sie schien erleichtert.
»Wenn wir Edinburgh noch heute verlassen, kann ich in vier Tagen in Abbotsford sein. Dann treffen wir dort wieder zusammen.«
»Einverstanden«, erwiderte sie. »Und ich hoffe«, fügte sie leiser hinzu, »dass du mich deshalb nicht verachtest.«
»Unsinn«, widersprach er. »Weshalb sollte ich dich …?«
In diesem Moment wurde die Tür zum Frühstücksraum aufgerissen. Walter stand auf der Schwelle. Er schien draußen gewesen zu sein, denn er trug noch seinen Gehrock. Die Haare standen ihm zu Berge wegen des Zylinderhuts, den er sich hastig vom Kopf gerissen hatte, sein Gesicht war feuerrot.
»Um Himmels willen!«, rief Quentin aus. »Was ist geschehen?«
»Auf den Straßen gibt es Aufruhr!«, berichtete Walter atemlos. »Es heißt, um die Krise einzudämmen, wolle die Regierung in London das schottische Pfund abschaffen!«
»Was?« Quentin hob die Brauen.
»Die Banken in Schottland sollen keine kleinen
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