Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
taktvoll das Thema.
»Non.« Sie schüttelte den Kopf.
»Auch nicht an Einzelheiten?«, hakte er nach. »Mary erwähnte etwas von einem Bild, das Sie …«
»Das erwähnte sie?« Brighids schmale Brauen hoben sich.
»Erstaunt Sie das?«
»Un peu« , gab sie zu. »Dann müssen Mary und Sie sich sehr nahestehen, denn ich hatte sie gebeten, niemandem etwas davon zu erzählen.«
»Natürlich stehen wir uns nahe«, bestätigte Quentin mit ehrlicher Entrüstung. »Mary ist meine Ehefrau.«
» Oui. Dennoch haben Sie lange nicht mehr – wie sagt man? – das Lager geteilt?«
Der Mund blieb Quentin vor Staunen offen, er konnte direkt spüren, wie ihm die Schamröte ins Gesicht schoss.
»Wie«, stieß er hervor, nachdem er einen Augenblick lang nur nach Luft geschnappt hatte, »können Sie so etwas fragen? Ich wüsste wirklich nicht, was Sie das angeht!«
» Excusez. Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen«, erwiderte sie mit einem Lächeln, das ihre Worte Lügen strafte.
»Hat Mary mit Ihnen … auch darüber gesprochen?«, erkundigte sich Quentin vorsichtig.
»Darüber und über manches andere«, entgegnete sie und lächelte dabei weiter rätselhaft.
Quentin wusste nicht, ob er bestürzt oder wütend sein sollte. Wütend auf Mary, wütend auf Brighid, wütend auf sich selbst, weil er nachgegeben hatte. Sie spielte mit ihm, und er war machtlos dagegen, schlimmer noch, er ertappte sich dabei, dass es ihm auf eine schräge, verbotene Art und Weise gefiel.
»Was nun jenes Bild betrifft …«, versuchte er auf das eigentliche Thema zurückzukommen.
» Pourquoi … Warum interessieren Sie sich so sehr dafür?«
»Nun – hat Mary Ihnen denn nicht gesagt, wer auf diesem Bild zu sehen ist?«
» Oui , das hat sie. Edward Charles Stewart war der letzte Spross des Hauses Stewart, der letzte Anwärter auf den Thron, der in der Schlacht von Culloden im Jahr 1746 von den Engländern vernichtend geschlagen wurde«, antwortete Brighid, und es hörte sich an wie bei einem Schulkind, das wiedergab, was es gelernt hatte. »Eine tragische Geschichte, aber auch … très romantique , weil ein einfaches Bauernmädchen den Prinzen Charlie auf seiner Flucht vor den Engländern versteckt und so sein Leben gerettet hat.«
»Das ist wahr.« Quentin musste lächeln. Jedermann in Schottland und auf den Inseln kannte die Mär von der tapferen Flora McDonald, die dem schönen Prinzen Charlie zur Flucht vor seinen Häschern verhalf. Besonders Mary hatte stets eine Schwäche für Geschichten wie diese gehabt, was auch ihre Vorliebe für die Romane Walter Scotts erklärte. Wenigstens war das früher so gewesen – in jüngster Zeit hatte sie sich auch dafür nicht mehr begeistert.
»Aber folglich kann es sich doch nicht um eine tatsächliche Erinnerung Ihrerseits handeln«, kam Quentin auf den eigentlichen Punkt zurück. »Allenfalls um einen Traum oder …«
» Eh bien , es gibt auf Erden manches, das sich nicht einfach erklären lässt«, fiel Brighid ihm ins Wort. »Gerade Sie sollten das wissen.«
Quentin schürzte die Lippen. Mary hatte also auch hier ihr Schweigen gebrochen, und das, obwohl er sie gebeten hatte, es nicht zu tun. Zum einen, weil es Sir Walters ausdrücklicher Wunsch gewesen war; zum anderen, weil er selbst nicht für verrückt gehalten werden wollte. Er wusste ja selbst nicht, was damals tatsächlich geschehen war. Hatte wirklich eine höhere Macht in den Kampf gegen die Runenbruderschaft eingegriffen? Oder war alles rational zu erklären?
»Sind Sie wütend?«, erkundigte sich Brighid besorgt.
Erst jetzt spürte Quentin den Schmerz, den seine eingekrallten Fingernägel in seinen Handballen hervorriefen. »Nein, natürlich nicht«, versicherte er, während er seine Fäuste langsam wieder entkrampfte.
»Dann es ist ja gut«, erwiderte sie, und Quentin wusste nicht, was er darauf noch erwidern sollte.
Obwohl sie seine Sprache nicht fließend sprach, obschon sie ihre Erinnerung verloren hatte und in ein Kloster abgeschoben werden sollte, schien Brighid die Überlegene zu sein – ganz einfach deshalb, weil sie alles über ihn zu wissen schien, er aber nicht das Geringste über sie wusste. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart noch unwohler als zuvor, und mit einem sehnsuchtsvollen Blick aus dem Fenster sehnte er den Augenblick herbei, da die Fahrt endlich enden würde.
Dieser Augenblick kam früher als erwartet.
Die Wolken, die sich den Tag über am westlichen Himmel zusammengebraut hatten, zogen
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