Das Vermächtnis der Schwerter
löste eine seltsame innere Unruhe in ihm aus.
»Du bist unverschämt«, schleuderte sie ihm unvermittelt entgegen. »Ich wollte nur nett sein, deshalb habe ich dir etwas zu essen gebracht. Aber bilde dir bloß nicht ein, ich würde daran denken, meinen Anführer oder gar den Herrn Xelos zu hintergehen bloß wegen dir oder dem, was du mir erzählst. Mein Leben und mein Geschick lege ich vertrauensvoll in die Hände des Feuerherolds, denn er kennt den Willen Xelos’. Wenn der Herr der Unterwelt uns aus diesem Bergwerk führen will, dann wird er uns ein Zeichen geben. Wenn nicht, dann müssen wir eben warten.«
»Hast du schon einmal daran gedacht«, konterte Rai aufgebracht, »dass ihr vielleicht ein ganz offensichtliches Zeichen eures Herrn übersehen habt?«
»Wie meinst du das?«, erkundigte sich die Xelosdienerin misstrauisch, so als erwarte sie eine weitere Unverschämtheit von Rai.
»Wegen Ulag«, antwortete Rai, »hat euch der Herr der Unterwelt doch hier Zuflucht gewährt. Aber nun ist es mit der Hilfe der Götter gelungen, dieses haarige Monster zu überwinden. Ihr jedoch sitzt immer noch hier und verkriecht euch vor jemandem, der euch nichts mehr anhaben kann. Vielleicht hat euer Feuerherold ein bisschen zu viel Gefallen daran gefunden, euch herumzukommandieren, und stellt sich taub und blind für die Zeichen, die euer Gott euch schickt.«
Ein empörtes Zischen war alles, was er von der Xelitin noch vernahm, dann war sie mit ihrer kleinen Kerze in der Dunkelheit verschwunden.
Rai seufzte tief und lehnte sich frustriert gegen den warmen Fels. Offenbar war die Xelosanhängerin für solche recht nahe liegenden Überlegungen nicht zugänglich. Er konnte ja verstehen, dass sie sich ihrem Anführer verpflichtet fühlte, weil er ihr einst das Leben gerettet hatte. Aber sie musste doch auch erkennen, dass er nun offensichtlich nicht mehr ihr Wohl im Sinn hatte, wie es vielleicht früher einmal der Fall gewesen war. Die Entbehrungen im Bergwerk von Andobras zehrten an der guten Gesinnung eines Menschen und ließen meist außer Stumpfsinn nichts mehr zurück, so hatte es auch Rai während seiner Zeit in der Mine oft gesehen. In einigen Fällen führte das trostlose Leben unter Tage auch zu blankem Wahnsinn, wie man an Nessalion erkennen konnte.
Rai war überzeugt, dass auch der Feuerherold zu dieser Kategorie zählte: ein Mann mit ursprünglich guten Absichten, den Leid und Grausamkeit den Verstand gekostet hatten.
»Unglaublich«, flüsterte plötzlich jemand in der Dunkelheit.
Rai fuhr zusammen, als hätte einer der Geister der Unterwelt das Wort an ihn gerichtet. »Wer spricht da?«
»Unglaublich«, ertönte die leise Stimme von Neuem. »Das Mädchen ist schon seit sechs Jahre hier unten, einfach unfassbar.«
»Nessalion?«, fragte Rai in die undurchdringliche Schwärze hinein. »Bist du das?«
»Das ist doch vollkommen verrückt!«, fuhr die Stimme fort. »Sie vergeudet ihr Leben hier unten. Was für eine Verschwendung … sie ist noch so jung.«
Jetzt war sich Rai sicher, dass die Worte von seinem Mitgefangenen kamen, auch wenn er diesen in der Dunkelheit immer noch nicht ausmachen konnte. Aber sowohl die Richtung, aus der die Stimme kam, als auch ihr Klang ließen eindeutig auf Nessalion schließen. Sein Mitgefangener hatte gerade das erste Mal, seit sie von den Xeliten aufgegriffen worden waren, etwas gesagt. Anscheinend empörte ihn die stille Duldsamkeit der Xelosdienerin, mit der Rai eben gesprochen hatte, so sehr, dass ihn dies sogar aus seiner Starre zu reißen vermochte. Rai überlegte kurz, ob er Nessalion darauf hinweisen sollte, dass es ebenso verrückt war, nur um sich zu rächen, wieder an diesen Ort der Knechtschaft zurückzukehren, aber er entschied sich letztlich dagegen. Was nützte es, wenn er nun seinerseits Nessalion mit Vorwürfen bedachte, schließlich teilten sie das gleiche Schicksal und würden beide alsbald ein gemeinsames Ende finden, wenn ihnen nicht möglichst schnell etwas einfiel.
»Gut, dass du aufgewacht bist«, sagte Rai daher vorsichtig. »Wir sollten versuchen, gemeinsam den Stein am Eingang unseres Gefängnisses wegzudrücken. Vielleicht schaffen wir es zu zweit.«
Zunächst erfolgte keine Reaktion, aber nach einer Weile begann Nessalion, wieder zu sprechen: »Warum sollte ich dir helfen, zu entkommen?«
»Na ja«, gab der junge Tileter zur Antwort, »vielleicht weil du dann auch freikommst?«
»Glaubst du wirklich, dass mir noch irgendetwas daran
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