Das Vermächtnis der Wanderhure
Knien reichten, und eine pelzgefütterte Jacke mit Stickereien, die Marie seltsam vertraut erschienen. Unter der Jacke schaute der Zipfel eines blauen Hemdes hervor, und an einem breiten Ledergürtel hingen ein eher primitiv wirkender Dolch mit einem Knochengriff und ein halbmondförmig gebogener Säbel in einer schlichten Lederscheide. Auch der Becher, der auf einem Tischchen neben Terbents Hochsitz stand, war aus Leder und glich jenen, die man in Maries Heimat in einfachen Schenken benutzte. Der Herr dieser Halle herrschte als Fürst über genug Krieger, um den Aufstand in Böhmen, gegen den Kaiser Sigismund nun schon seit Jahren kämpfte, innerhalb von sechs Monaten niederschlagen zu können, und doch lebte er in einem Haus, gegen das sogar die Pferdeställe in Franken und Schwaben besser eingerichtet waren.
Marie stellte fest, dass gerade das Fehlen sämtlichen Luxus sie beeindruckte. Diesem Mann konnte kein Pfalzgraf am Rhein und auch keiner der anderen hohen Herren im Reich der Deutschen das Wasser reichen. Unwillkürlich knickste sie vor ihm, wie sie es in ihrer Heimat gelernt hatte, und rief damit die Aufmerksamkeit des Khans auf sich.
»Bist du die Witwe Dimitris?«
Obwohl weder Marie noch Andrej bemerkt hatten, dass ein Mann vorausgeritten war, musste jemand ihr Kommen angekündigt haben.
Sie knickste erneut und schüttelte den Kopf. »Nein, erhabener Herr. Ich bin eine Fremde aus einem fernen Land.«
Der Khan winkte ab. »Man hört an deiner Stimme, dass du keine Russin bist. Wer von euch ist nun Dimitris Weib?«
»Ich, Herr!« Die einstige Fürstin von Worosansk trat vor und blieb mit stolz erhobenem Haupt vor Terbent Khan stehen. AlsNachkomme von Kaisern des Oströmischen Reiches und Mitglied der dort herrschenden Familie hielt sie es nicht für nötig, einem Steppenwilden besondere Achtung zu erweisen.
Terbent musterte Anastasia so durchdringend, dass sich ihr die Nackenhaare aufstellten. »Du bist also die Fürstin aus griechischem Blut.«
In seiner Stimme schwang ein gewisses Begehren, das Andrej dazu veranlasste, einzugreifen. »Jawohl, Terbent, mein alter Freund. Dies ist die Fürstin von Worosansk, die Mutter von Dimitris Erben, und schwanger mit seinem zweiten Kind.«
»Schwanger sagst du?« Terbents Interesse an Anastasia ließ sofort nach, dafür schweifte sein Blick über den Rest der Gruppe. Bei Pantelejs Anblick verzog er spöttisch den Mund, und auch Gelja erregte kaum Aufmerksamkeit. Dafür starrte er Alika so durchdringend an, dass diese sich seufzend mit dem Gedanken vertraut machte, noch vor der Nacht unter ihm zu liegen. Marie schien ihm ebenfalls zu gefallen, denn er winkte sie näher zu sich heran und griff in ihr Haar.
»Du trägst Gold auf dem Kopf, Weib, anders als die Russinnen, auf deren Köpfen Stroh wächst. Das gefällt mir.«
Marie schnaubte leise, ohne zu wissen, wie sie sich dem Mann entziehen konnte. Andrej knirschte mit den Zähnen, denn es ärgerte ihn, dass Terbent, der ihm vor Jahren das Schießen mit Pfeil und Bogen beigebracht hatte, ihn in so beleidigender Weise missachtete.
Er trat daher auf ihn zu und schob Marie zurück. »Terbent, mein Freund, lass uns den Becher der Freundschaft miteinander leeren und vergönne uns Brot und Salz.«
Der Khan schüttelte mit grimmiger Miene den Kopf. »Kein Russe ist ein Freund Terbent Khans, Andrej Grigorijewitsch, auch keiner aus Worosansk. Mir wurde zugetragen, dass dein Oheim Lawrenti die Feinde angeführt hat, die den Fürsten gestürzt und meine Krieger, die in Dimitris Sold standen, wieHunde erschlagen haben. Ihr Anführer war mein eigener Neffe und sein Blut steht zwischen dir und mir.«
Andrej erinnerte sich an den Burschen. Er war ein Taugenichts und ein Störenfried gewesen und wohl aus diesen Gründen von Terbent in die Ferne geschickt worden. Nichtsdestotrotz war er der Neffe des Khans, und sein Tod verpflichtete diesen dazu, Rache zu üben. Einen Moment fühlte er sich wie niedergeschmettert, denn er hatte gehofft, die Nachricht von dem Überfall auf Worosansk hätte die Steppe noch nicht erreicht. In dem Fall wären sie als Gäste willkommen gewesen und hätten um Hilfe bitten können. So aber schien Terbent entschlossen zu sein, ihn und Pantelej um einen Kopf kürzer zu machen und die Frauen in seinen eigenen Harem zu stecken.
Verzweifelt fasste er nach dem Arm des Khans. »Wir sind auf der Flucht vor den Männern, die deinen Schwestersohn getötet haben. Ich selbst habe mein Schwert in die Leiber
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