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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Dimitri ist tot. Moskau hat ihn geschlagen. Moskau hat auch die Tataren erschlagen, die ihm dienten. Daher ist kein Russe mehr Freund von Tatar!« Die Hände einiger Krieger wanderten zu den Griffen ihrer Säbel, und Andrej machte sich bereit, sein Leben und das seiner Begleiterinnen mit dem Schwert zu verteidigen.
    Da griff Anastasia ein. Sie schlug ihre Kapuze zurück, damit die Tataren erkennen konnten, dass sie eine Frau war, und sprach deren Anführer an. »Ich bin Anastasia, die Witwe Fürst Dimitris. Gemeinsam mit wenigen Gefährten ist es mir gelungen, den verräterischen Moskowitern zu entkommen. Wollt ihr dem Weibeures Freundes Dimitri die Gastfreundschaft verweigern? Ich habe immer gehört, dass die Tataren tapfere und gerechte Männer seien, deren Freundschaft unerschütterlich ist!«
    Im ersten Augenblick verfluchte Andrej die Fürstin, weil sie ihr Geschlecht aufgedeckt hatte, denn er hielt die Steppenreiter für fähig, ihr auf der Stelle Gewalt anzutun. Doch anscheinend weckten ihre Worte deren Ehrgefühl, denn sie sahen sich kurz an und zeigten dann nach Südosten.
    »Ihr kommt mit zu Terbent Khan. Er wird entscheiden.«
    Bei diesen Worten fiel Andrej ein Stein vom Herzen, denn er glaubte den Khan gut zu kennen. Von neuer Hoffnung erfüllt winkte er den Rest seiner Gruppe zu sich und schloss sich den Tataren an.

X.
     
    T erbent Khans Lager entpuppte sich als eine Mischung zwischen einem Zeltlager und einem Dorf mit festen Häusern. Anstelle einer Palisade aus Baumstämmen hatte man die lockere Ansiedlung mit einem Wall aus ausgestochenen und wie Ziegel aufeinander geschichteten Rasenstücken umgeben, die von einem geflochtenen Zaun gekrönt wurde. Die Umfriedung stellte kein ernsthaftes Hindernis für einen entschlossenen Angreifer dar, doch sie verhinderte, dass der Ort in einem raschen Anlauf eingenommen werden konnte, und gab den zahlreichen Kriegern Zeit, sich zu bewaffnen und zu sammeln. Terbent Khan war wachsam und vorsichtig, denn er hatte den Streit unter Tochtamysch Khans Söhnen ausgenützt, um sich sein eigenes kleines Reich zu schaffen. Nun musste er ständig fürchten, dass der Herr des neuen Khanats von Kasan ebenso wie der Anführer der Krimtataren danach strebte, ihn zu unterwerfen, und hatte daher viele gut ausgerüstete Männer um sich gesammelt.
    Als die Flüchtlinge durch das Tor in das Innere der Stadt ritten, sahen sie, dass die meisten Häuser aus Grassoden aufgeschichtet waren, an denen es in der Steppe nie mangelte. Der Palast des Khans und einige andere Gebäude bestanden aus Holz. Aus den niedrigen Türöffnungen der Häuser musterten Frauen die Neuankömmlinge mit finsteren Blicken.
    Andrejs Erinnerung an die tatarische Sprache wuchs mit jedem Augenblick. Daher verstand er die Verwünschungen, die man ihnen nachrief. Er sah auch, dass die meisten der herbeiströmenden Krieger die Hände auf die Knäufe ihrer Dolche gelegt hatten. Obwohl Terbent Khan lange Jahre ein guter Verbündeter verschiedener russischer Fürsten gewesen war, schienen deren Gefolgsleute hier neuerdings so beliebt zu sein wie eine Seuche.
    Die Anspannung des jungen Recken wuchs, als sie den von einem mannshohen Lattenzaun umgebenen Hof des Palasts erreichten. Der Boden war mit festgestampftem Schnee bedeckt, der eine graubraune Farbe angenommen hatte und zu schmelzen begann. Der Palast selbst gliederte sich in mehrere Gebäude, unter denen die Halle des Khans augenfällig hervorstach. Sie erstreckte sich etwa achtzig Schritt in der Länge und dreißig in der Breite und bot gewiss mehreren hundert Männern Platz. Es gab keine Fenster, aber man konnte wie bei russischen Häusern Teile der Wand herausnehmen, damit Licht und Sonne ihren Weg ins Innere fanden. Der warme Wind aus dem Süden hatte die Tataren verlockt, Segmente zu entfernen, und daher herrschten im Innern des Gebäudes eher frostige Temperaturen. Dafür war es so hell, dass die unfreiwilligen Gäste die feindseligen Gesichter der Tataren erkennen konnten, die sich um ihren Khan versammelt hatten.
    Terbent Kahn schien sich zunächst nicht für die Gruppe zu interessieren, sondern unterhielt sich mit Männern, die der Kleidung nach höhere Gefolgsleute sein mussten. Er selbst war eine wuchtige, vierschrötig erscheinende Gestalt mit kantigem Gesichtund dunkelblonden Haaren, die unter seinem pelzverbrämten Helm hervorquollen. Er trug Hosen, die ihrem prallen Aussehen nach dick gefüttert sein mussten, weiche Stiefel, die beinahe bis zu den

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