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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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bestimmen. Doch nun geht! Es zerreißt mir sonst das Herz.« Sie schob Marie resolut auf deren Stute zu. Bevor Andrej reagieren konnte, hob ein Tatar Marie in den Sattel, und ein anderer reichte ihr Odas Sohn.
    Marie sah, wie es im Gesicht der ehemaligen Marketenderin arbeitete. Oda hätte ihren Sohn gerne ein letztes Mal umarmt, doch sie durfte keine Gefühle für ihn zeigen. Die waren allein für die Kinder bestimmt, die sie Terbent gebären sollte.
    »Lebe wohl, Oda. Gott mit dir!«
    »Jetzt soll er erst einmal dich begleiten, meine Liebe. Sag meinem Sohn, dass ich ihn immer geliebt habe und ihn immer lieben werde. Ich bringe dieses Opfer, damit er ein freier und stolzer Mann werden kann. Versprich mir, dass du ihm das von mir sagst!«
    »Ich werde es nicht vergessen!« Marie setzte den Kleinen so vor sich in den Sattel, dass sie eine Hand frei bekam, und ergriff Odas Rechte. Zu sagen brauchten sie einander nichts mehr.
    Unterdessen hatte Andrej sich in den Sattel geschwungen und gab seinem Pferd nach einem letzten Gruß an den Khan, der nun auf der Schwelle seiner Halle stand, die Sporen.
    Maries Stute, die sich ebenso erholt hatte wie ihre Herrin, fiel von selbst in einen schnellen Trab und zwang ihre Reiterin, rasch den Zügel aufzunehmen. Gleichzeitig zog Marie das Kind enger an sich. »Sitzt du bequem, mein Junge?«, fragte sie Egon.
    »Ja, Tante«, antwortete dieser auf Deutsch. Es waren die ersten Worte, die sie aus seinem Mund hörte, und sie fühlte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel. Sie hatte schon gefürchtet, der Knabe würde nur Tatarisch sprechen, und sich gefragt, wie sie sich mit ihm verständigen sollte. Kinder lernten zwar sehr schnell, aber auf dieser Reise musste sie sich auch um Wladimir, Lisa und die Fürstin kümmern und würde kaum die Zeit haben, dem Kleinen ihre Sprache beizubringen. Als sie recht zufrieden auf ihn herunterblickte, sah er zu ihr hoch und sie las Furcht und Verzweiflung in seinen Augen. Oda mochte ihn aus Angst vor Terbent Khan nicht besonders gut behandelt haben, dennoch verlor der Junge mit seiner Mutter die einzige Person, bei der er sich geborgen gefühlt hatte. In diesem Augenblick nahm Marie sich fest vor, sein Vertrauen zu gewinnen und ihm so viel Liebe zu schenken, dass er ein fröhlicher, unbeschwerter Junge werden konnte.
    Als sie sich umblickte, um nach den anderen Kindern zu sehen, die Alika und Gelja mit Tüchern an sich festgebunden hatten, streifte ihr Blick Anastasias Gesicht. Die Fürstin lächelte beinahe selig und warf ihr einen dankbaren und gleichzeitig verwunderten Blick zu. Marie erwiderte ihr Lächeln, ohne sich ihre Erleichterung anmerken zu lassen. Von nun an, das war ihr klar, würde sie keine Sklavin mehr sein, denn sie hatte es ihrer Herrin erspart, selbst eine zu werden.
    Als die Truppe anritt, schloss Andrej zu Anastasia auf. »Ich hoffe, du befindest dich wohl?«
    Die Fürstin nickte. »Ja, Andrej. Es geht mir besser, als ich es mir vorgestern habe vorstellen können. Die Frau des Khans ist auch eine Fremde und hat in Marie eine alte Freundin erkannt. Daher hat man auch mich und Wladimir gut behandelt. Ich habe mit meinem Sohn, den Mägden und anderen Weibern die beiden Nächte in einer kleinen Kammer verbracht und wurde weder vom Khan noch von einem anderen Tataren belästigt.«
    Mit feinem Gespür hatte Anastasia erkannt, welche Frage ihr Begleiter eigentlich hatte stellen wollen, und freute sich, dass er mehr Interesse an ihr zeigte, als es für die Witwe seines Fürsten angemessen war. Wenn sie ihr Gewissen erforschte, musste sie zugeben, dass Andrej ihr immer gut gefallen hatte. Irgendwann hatte sie sich sogar gewünscht, Dimitri hätte mehr von seinem liebenswürdigen Gefolgsmann an sich. Für einen Augenblick stellte sie sich vor, die Rollen der beiden Männer wären vertauscht gewesen. In diesem Fall würden sie noch in Worosansk leben, denn Andrej hätte gewiss nicht den Zorn des Großfürsten auf sich herabgerufen, sondern mindestens so klug und weise gehandelt wie Fürst Michail.
    Mit einem Lachen vertrieb sie die Bilder, die ihre Phantasie ihr vorgaukelte, und wandte ihre Gedanken der Zukunft zu. Anders als bei ihrer Flucht aus Worosansk wurden sie nun von kampfkräftigen Männern begleitet und brauchten sich keine Sorgen mehr zu machen, unterwegs abgefangen oder getötet zu werden. Fröhlich wie ein Kind lächelte sie Andrej zu und wies nach Süden. »Noch ein paar Tagesreisen zu Pferd und wir werden in Tana sein. Dann liegt

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