Das Vermächtnis der Wanderhure
zurückhalten, sondern nahm ihre Hand und küsste sie mehrmals.
»Ihr seid wunderschön, Herrin, und ebenso grausam, weil Ihr mich leiden lasst.« Seine Stimme klang wie die eines kleinen Jungen, der um einen Apfel bettelt.
Schwanhild wandte sich ab, damit er ihren Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Obwohl es ihr gefiel, mit ihm zu tändeln undseinen Komplimenten zu lauschen, durfte sie ihm keine zu engen Vertraulichkeiten gewähren. Ihr Ehemann behandelte sie zwar kühl, aber er war kein Narr, der träge über ihr Verhalten hinwegsah. Unwillkürlich fasste sie mit beiden Händen an ihren Bauch, als gewähre die Schwangerschaft ihr Schutz. Da sie nun, wie sie hoffte, den Erben von Kibitzstein trug, bedauerte sie es, Ingold nicht schon früher in seine Schranken gewiesen zu haben. Diese Einsicht hielt jedoch ihren Sehnsüchten nicht stand, denn Ingolds leuchtende Blicke und seine Verehrung entschädigten sie ein wenig für die Gefühllosigkeit ihres Gemahls.
Sie musste sich nur daran erinnern, wie lange sie Michel hatte bitten müssen, die böhmische Wirtschafterin fortzuschicken. Hätte Zdenka ihr bei den Vorbereitungen zum Osterfest nicht vor allen Leuten den Gehorsam verweigert, würde die Frau wohl immer noch die Schlüsselgewalt in der Hand halten. An jenem Tag hatte ihr Mann die Missachtung seiner Ehefrau nicht länger hinnehmen können und die impertinente Böhmin ihres Amtes enthoben. Bei der Erinnerung an diese Szene lächelte Schwanhild, denn damals hatte sie die Gelegenheit ergriffen, Germa, ihre frühere Amme, zu rufen, deren Tochter Frieda nur kurz nach ihr zur Welt gekommen war. Mit ihrer Milchschwester und deren Mutter hatte sie nun zwei Menschen, auf die sie sich voll und ganz verlassen konnte. Nun erinnerte Schwanhild sich wieder an die Szene auf dem Hof und hielt nach Frieda Ausschau. Im gleichen Augenblick hörte sie deren Schritte auf der Treppe zum Söller, und kurz danach stand die Magd vor ihr.
Frieda wirkte abgehetzt und um ihren Mund lag ein verkniffener Zug. »Herrin, Ihr seid in Gefahr! Dieses kleine Miststück, das sich das Patenkind der Hure nennt, redet schlecht über Euch und den Junker.« Ein verärgerter Seitenblick traf Ingold, als mache Frieda ihn für alle Probleme verantwortlich, die sich vor ihrer Herrin auftürmten.
»Was sagst du da?« Schwanhild packte ihre Leibmagd bei derSchulter. »Welche Lügen verbreitet diese Bauerndirne über mich?«
Frieda holte erst einmal tief Luft und begann dann zu berichten. Bei jedem Wort wurde die Miene ihrer Herrin länger.
»Das Kind ist von meinem Gemahl!« Schwanhild sagte es mit einem Nachdruck, als stände Michel vor ihr und hätte sie danach gefragt.
»Wenn diese Verleumderin ihre Lügen weiterhin herumträgt, werden die Leute bald daran zweifeln! Sollte Euer Gemahl von dem Gerede erfahren, glaubt er es womöglich und wird sehr zornig werden. Schließlich hat er Euch nur gezwungenermaßen geheiratet und wird vielleicht sogar die Gelegenheit nützen, sich Eurer zu entledigen. Ein schneller Schwerthieb im Zorn kostet ihn nur eine Buße durch den Burgkaplan und eine Wallfahrt zu den vierzehn Nothelfern bei Lichtenfels oder zum Grab des heiligen Kilian in Würzburg.«
Frieda verging sichtlich vor Angst um ihre Herrin, denn sie kannte deren Geheimnisse und wusste, dass der Junker ihr näher gekommen war, als Brauch und Sitte es erlaubten.
Schwanhild fürchtete nicht so sehr, von ihrem eifersüchtigen Ehemann erschlagen, sondern hinter Klostermauern gesperrt zu werden. Sie wimmerte wie ein kleines Mädchen und warf dem Junker einen verzweifelten Blick zu. »Du musst Mariele zum Schweigen bringen! Ich will nicht den Rest meines Lebens als Nonne verbringen. Michel wird mich ganz gewiss in ein Kloster stecken, wenn er an meiner Treue zu zweifeln beginnt.«
»Ich bringe diese Bauerndirne um!« Ingold riss sein Schwert aus der Scheide und wollte die Treppe hinunterstürmen. Schwanhild stieß einen Schrei aus und hielt ihn fest.
»Wenn du das tust, werden alle glauben, dass dieses Biest die Wahrheit gesagt hat! Dann wird der Zorn meines Gemahls über uns beide kommen. Oder willst du Michel mit blanker Klinge gegenübertreten?«
Da der Junker ganz so aussah, als wäre er auch dazu bereit, sah Schwanhild sich für einen Augenblick als reiche Witwe, die den stolzen Besitz für ihren noch ungeborenen Sohn verwalten würde. Dann begriff sie die Konsequenzen einer solchen Tat und klammerte sich an Ingold.
»Tu das nicht! Damit würdest du
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