Das Vermächtnis der Wanderhure
scheut den Angriff, weil die Mauern Konstantinopel ihm zu fest sind und dahinter Männer stehen, die ihre Heimat mit jeder Faser ihres Herzens verteidigen werden.«
»Der Aufwand wäre wirklich ein wenig hoch«, gab Malwan Pascha zu. »Mit derselben Zahl an Kriegern, die es bräuchte, Konstantinopel einzunehmen, vermag mein Herr Landstriche in Ungarn zu erobern, die weitaus größer und ertragreicher sind als eure halb verfallene Stadt. Einst mag sie ja mächtig und gefürchtet gewesen sein, doch diese Zeit ist längst Vergangenheit. Jetzt zittert ihr bereits, wenn der Lieblingsrappe des Sultans furzt.«
Prinz Konstantinos zuckte nur mit den Schultern. »Ich zittere nicht!«
»Das weiß ich, mein Freund.« Der Türke klopfte Dragestes auf die Schulter und schüttelte den Kopf. »Bei Allah dem Allmächtigen, warum wollt ihr nicht einsehen, dass es vorbei ist? Unterwirf dich Murad, und er wird dich zum Pascha von ganz Morea machen. Dein Bruder kann als Pascha über Konstantinopel herrschen, wenn er nur das Haupt neigt und uns das Tor öffnet. Oder träumt er immer noch, die Franken kämen ihm zu Hilfe, wie einst zu Zeiten eines Alexios Komnenos? Bei Allah, diese Hoffnung sollte er aufgeben. Wir haben Serbien und Bosnien unterworfen, und der Sultan lässt seine Standarte bereits über Ungarn wehen, das uns bald in die Hände fallen wird wie dir dieser Pfirsich.«
Der Türke ergriff eine Frucht und warf sie Konstantinos zu, der sie in einer Reflexbewegung auffing. Scheinbar ungerührt von den Worten des Paschas zückte dieser sein Messer und teilte den Pfirsich in zwei Hälften, von denen er Marie und Anastasia je eine reichte.
»Gib zu, du siehst es genauso wie ich. Der Westen wird euch nicht helfen, und selbst wenn er dazu bereit und in der Lage wäre, würden es eure Griechen nicht zulassen. Sie hassen die Franken weitaus mehr als uns Türken. Oder wurde nicht erst gestern wieder eine Frau aus dem Frankenviertel jenseits des Goldenen Horns vom Pöbel hier in der Stadt in Stücke gerissen?«
»Ganz wohl nicht, denn sonst säße ich nicht hier.« Marie wurde der Türke, der alles zu wissen schien, was in Konstantinopel vorging, direkt unheimlich. Anastasia und Andrej vernahmen nun erst, dass sie in Gefahr gewesen war, und stellten Fragen, die Marie mit Ausflüchten beantwortete. Sie interessierte mehr, was der Türke über Ungarn und Kaiser Sigismund zu berichten wusste. Zu ihrer Enttäuschung wechselte Malwan Pascha jedoch das Thema und wies zu den Moskowitern hinüber, die kurz davor waren, dem Wein zu unterliegen. Dabei nahm Marie wahr, dass Sachar Iwanowitsch noch immer nicht zurückgekehrt war.
»Hofft ihr vielleicht auf deren Hilfe?« Der Türke sah Konstantinos von oben herab an. »Der Mund der Russen verspricht mehr, als ihr Schwertarm zu leisten vermag. Außerdem kostet es meinen erhabenen Herrn und Sultan nur einen Wink, die Tataren der Krim oder die von Astrachan dafür zu gewinnen, sich in die Sättel zu schwingen und das russische Land bis nach Nowgorod hinauf zu verwüsten. Selbst wenn die Russen sich einig wären – was sie nicht sind –, stellten sie keine Gefahr für uns und keine Hilfe für euch dar.«
»Was ereiferst du dich dann so, mein Freund? Wenn unsere Stadt für euch nur noch eine Frucht ist, die ihr mit einer Hand pflücken könnt, so gibt es doch niemanden, den ihr fürchten müsst.« Bevor der Pascha sich versah, warf Konstantinos ihm spöttisch den Kern des Pfirsichs zu.
»Das ist das, was ihr bisher erreicht habt. Das Fruchtfleisch, sprich das flache Land, habt ihr erobern können. Doch Konstantinopel ist wie dieser Kern, hart und in der Lage, euren begehrlichen Zähnen noch lange zu widerstehen!«
»Für einen harten Kern braucht man einen harten Hammer. Wenn es so weit ist, werden wir ihn besitzen.« Der Türke schlenzte den Kern auf etliche Schritte in die Öffnung eines Kruges, den ein Diener gerade vorbeitrug. Es war Wein für die Moskowiter, und der Lakai wollte bereits auffahren, wagte es nach einem Blick auf den Türken dann doch nicht, sondern schenkte den Russen so vorsichtig nach, dass der Kern nicht in einen der Pokale rutschte.
X.
M arie war die Feste ihrer Heimat gewöhnt, bei denen die Gastgeber Gaukler und Sänger auftreten ließen. Hier blieb es den Gästen überlassen, sich selbst zu unterhalten. Allerdings erhieltennicht viele das Privileg, länger im Palast verweilen zu dürfen. Außer ihrer Gruppe und den Russen um Lawrenti gab es nur noch zwei
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