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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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geraubte Kind so rasch wie möglich zu entreißen. Nun beschäftigte sie sich auch mit anderen Fragen wie der nach der Rolle, welche Fulbert Schäfflein gespielt haben mochte. Schließlich hatte er Oda samt seinem eigenen Kind nach Osten verschleppen lassen.
    In ihrer Erinnerung stiegen Bilder auf, die sie verwirrten. Sie sah zwei Frauen, die sich so ähnlich sahen wie Schwestern. Bei der einen war das Gesicht voller Mitleid gewesen, bei der anderen hart wie Stein. An die harte konnte sie sich deutlicher erinnern, denn die war am Hofe des Pfalzgrafen in Heidelberg Frau Huldas Leibmagd gewesen. Von der jüngeren Frau waren ihr nur hastige, angstvoll klingende Worte im Gedächtnis geblieben und die Tatsache, dass diese ihr Lisa in den Arm gelegt hatte. Dafür war Marie der Magd dankbar, denn das Kind hatte ihr die Kraft geschenkt, weiterzuleben. Ohne Lisa wäre ihre Milch versiegt, und man hätte sie in eines der Hafenbordelle an der Ostsee gesteckt. Dann erinnerte Marie sich, dass die Frau, die ihr das kleine Mädchen in die Arme gelegt hatte, dieselbegewesen sein musste, die sie in Speyer in die Falle gelockt hatte, und ihre Dankbarkeit zerstob.
    Als sie tiefer in ihren oft sehr verschwommenen Erinnerungen suchte, stiegen die Bilder zweier Ritter in ihr hoch. Der eine war angeberisch gewesen und hatte einen unangenehmen Blick gehabt, der zweite eher still und unauffällig, aber mit abweisenden Gesichtszügen. Dieser hatte sich einige Male über sie gebeugt und ihr Lisa an die Brust gelegt. Doch sie empfand diesem Mann gegenüber ebenfalls keine Dankbarkeit, denn er musste eine Art Gefängniswärter für sie gewesen sein.
    »Ich bin zurückgekommen, Hulda von Hettenheim, und jetzt wirst du für alles bezahlen!« Maries Stimme klang so zornig, dass Lisa auf ihrem Schoß zu weinen begann. Im selben Augenblick spürte sie Alikas Hand auf ihrem Arm. Ihre dunkelhäutige Freundin hatte mehr über ihr Schicksal erfahren als Andrej und Anastasia und kannte den Grund, der Marie wieder in die Heimat geführt hatte. Jetzt fürchtete die Mohrin um Maries Verstand, denn diese starrte blicklos in die Ferne und stieß Schimpfworte und Drohungen aus, ohne wahrzunehmen, dass die Straße belebter wurde und sie sich einem großen Stadttor näherten.
    Mühsam kehrte Marie in die Gegenwart zurück und schenkte Alika ein dankbares Lächeln. »Es ist schon gut, meine Liebe. Ich bin für einen Augenblick von der Last meiner Erinnerungen überwältigt worden.«
    »Du suchst diese böse Frau, nicht wahr?«
    Marie nickte. »Ja! Doch das schaffe ich nicht alleine. Wir müssen nach Nürnberg weiterreisen. Dort kann ich mich an einen der hohen Herren des Reiches wenden und seine Unterstützung erbitten. Danach will ich meinen Mann aufsuchen.«
    Sie holte tief Luft und presste die Hand auf ihr Herz, denn in ihren schlimmsten Albträumen hatte Michel sie von sich gestoßen.

XV.
     
    D a ein Teil der mitgeführten Waren für Augsburger Kaufleute bestimmt war und die Nürnberger vor ihrer Weiterreise noch Geschäfte tätigen wollten, nahm Marie die Gelegenheit wahr, sich und ihre Anvertrauten neu einzukleiden. Der Schneider, den sie in die Herberge kommen ließ, zog zunächst die Stirn kraus, als sie von ihm verlangte, Gewänder zu nähen, wie sie Personen von Stand angemessen waren. Er begriff jedoch rasch, dass er es nicht mit Hochstaplern zu tun hatte, sondern mit Adeligen aus einem fernen Land und ihrer deutschen Haushofmeisterin. Daher buckelte er vor Anastasia und bat Marie, seine schmeichlerischen Worte zu übersetzen, denn der Fürstin gefiel zunächst weder das kräftig gemusterte blaue Kleid mit den weiten, pelzverbrämten Armen und bestickten Säumen noch die herzförmige Kopfbedeckung aus Stoffblüten.
    Für sich wählte Marie ein grünes Gewand mit hoher Taille und Zattelärmeln, die bis auf den Boden fielen. Dazu kam eine Haube aus Stoffblättern, die allerdings nicht so auffällig war wie die, die Anastasia nun trug.
    Gelja erhielt ein blaues Hemd mit Ärmeln, die bis zu den Ellbogen reichten, und darüber einen wadenlangen Rock. Dazu bekam sie ein Häubchen mit einem Baumwollschleier, der wie ein Kragen auf ihrer Brust lag, und eine Schürze, die auf ihren Rang als Leibmagd einer Herrin von Stand hinwies. Gelja zog die Sachen an und war zufrieden. Mit Alika betrieb Marie etwas mehr Aufwand, aber in dem grünen Rock und dem roten Mieder sah die junge Mohrin immer noch fremdartig aus.
    Marie hätte gern auch Andrej modisch eingekleidet,

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