Das Vermächtnis der Wanderhure
an. »Was hast du …?«
»Ich habe Marie Adlerin entführen lassen!«, fiel seine Tochter ihm ins Wort. »Die Hure wird mir für all das bezahlen, was sie und ihr Mann Falko und mir angetan haben.«
»Bei Gott, Hulda! Was hast du dir denn dabei gedacht? Das Kind, das du trägst, ist wichtiger als deine Rache. Selbst der Pfalzgraf erwartet von dir, dass du endlich einen Erben für Hettenheim gebierst.«
Lauenstein machte aus seinem Ärger keinen Hehl, denn er hatte alle Fäden gezogen, die notwendig waren, um dem verhassten Vetter seines toten Schwiegersohns das Erbe vorenthalten zu können. Diese Vorbereitungen wollte er nicht durch eine Laune seiner Tochter gefährdet sehen.
Er warf dem Karren, auf dem er Marie vermutete, einen wütenden Blick zu. »Lass die Hure heute Nacht erwürgen oder ihr den Kopf abschlagen! Solange sie lebt, stellt sie eine Gefahr für dich dar. Wenn sie erst verscharrt ist, brauchst du keinen Gedanken mehr an sie zu verschwenden.«
Seine Tochter fletschte die Zähne. »Das werde ich nicht tun! Sie soll erleben, wie ich meinem ermordeten Gemahl einen Erben schenke.«
»Dummes Zeug!« Lauenstein seufzte, denn wie so oft musste er feststellen, dass nichts von dem, was er sagte, zu seiner Tochter durchdrang.
Hulda drehte sich um und befahl Tautacher, Marie in das tiefste Turmverlies zu sperren. Dann fiel ihr Blick auf Mine, die wie verloren im Burghof stand. »Komm endlich herauf! Es ist eine Schande, dass ein so schmutziges Ding wie du in einerguten Kammer wohnen wird; doch bevor du nicht geworfen hast, darfst du nicht in den Dreck zurück, aus dem du gekommen bist.«
Die schwangere Magd schlang die Arme um sich, als friere sie. Da versetzte Beate ihr einen Schlag. »Hast du nicht gehört, was die Herrin befohlen hat, du dumme Kuh?«
Mine setzte sich gehorsam in Bewegung, aber ihre Gedanken führten immer noch einen wilden Tanz auf. In ihrem Kopf echoten Tautachers prahlerische Worte, er und Xander hätten Trine beritten wie eine Stute. Über das, was danach geschehen war, hatte er zwar nicht gesprochen, doch sie erinnerte sich nur zu gut an den seltsamen Ausdruck, den sie in den Augen des Hauptmanns wahrgenommen hatte, und an seine Gesten, die ihr mehr Angst eingejagt hatten als die Worte, die ihrer Herrin während der Fahrt herausgerutscht waren. Tautacher hatte so ausgesehen, als müsse er Blut von seinen Händen waschen, und sie war nun sicher, dass Trine tot war.
»Schneller, du Trampel!« Frau Huldas schroffer Ausruf gaben den Gedanken der Magd eine andere Richtung. Sie erinnerte sich nicht nur an die Schläge, die sie von Hulda selbst oder deren Lieblingsmägden für jede Kleinigkeit und auch für vorgebliche Vergehen erhalten hatte, sondern auch an die Tatsache, dass die Herrin sie und Trine von einem der Reisigen hatte auspeitschen lassen, nur weil Falko von Hettenheim Gefallen an ihnen gefunden hatte. Das war natürlich erst geschehen, nachdem der Ritter die Burg verlassen hatte, um nach Nürnberg zu ziehen und sich wieder dem Gefolge des Kaisers anzuschließen.
Mine biss sich auf die Lippen und spürte den Geschmack von Blut im Mund. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, sie hätte das Kind unter den Schlägen des Reisigen verloren. Dann könnte sie nun zusehen und lachen, wenn die Herrin ihre siebte Tochter gebar – und ihre Schwester wäre noch am Leben. Mine hasste die Frucht der Vergewaltigung, die in ihr wuchs, kaum weniger alsderen Erzeuger, aber am meisten verabscheute sie die plumpe, verblühte Frau über ihr.
Im diesem Augenblick begriff die Magd, was sie tun musste. Wenn die Herrin ihr Kind als das eigene ausgeben wollte, würde man sie bestimmt nicht am Leben lassen. Da war es besser, den Schritt in die Ewigkeit selbst zu tun, auch wenn ihre Seele dafür im Höllenfeuer schmoren musste. Mit diesem Entschluss begann sie, so schnell die Treppe hinaufzulaufen, wie das in ihrem Zustand möglich war.
Oben blieb sie vor Hulda stehen und blickte ihr spöttisch ins Gesicht. »Irgendwann werdet Ihr an Eurer eigenen Bosheit ersticken! Doch mir könnt Ihr nichts mehr antun.«
Mit diesen Worten trat sie an den Rand der Treppe und ließ sich in die Tiefe fallen. Bevor ihre Herrin begriff, was sich vor ihren Augen abspielte, schlug Mine mit einem hässlichen Laut unten auf.
»Nein! Nein!« Hulda kreischte auf, als sei sie von Sinnen, und starrte fassungslos auf die verkrümmte Gestalt unter ihr. Ihr Vater musste sie packen und festhalten, sonst wäre sie ebenfalls
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