Das Vermächtnis der Wanderhure
zu drei Viertel adeliges Blut! Du aber bist nur eine lumpige Hure und dein Mann ist ein Wirtsbalg. Euch Gesindel musste ich dienen, als wäret ihr das Pfalzgrafenpaar persönlich!« Marga begleitete jeden Satz mit einem Tritt. Sie achtete jedoch darauf, Marie nicht in den Bauch zu treffen, damit dem Kind nichts geschah. Für einen Augenblick überlegte Marga, ob sie Marie unter die Nase reiben sollte, in wessen Hände sie gefallen war. Doch sie durfte Hulda die Überraschung nicht verderben. Marga nahm einen Krug zur Hand und setzte ihn an Maries Lippen.
»Wenn es nach mir ginge, würdest du verhungern und verdursten. Aber ich habe den Befehl, dich am Leben zu erhalten. Also trink!«
Das Wasser hatte einen üblen Nachgeschmack, als wäre die Zisterne schon lange nicht mehr gereinigt worden. Maries Durst war jedoch groß genug, um den Ekel zu überwinden. Sie trank, so rasch sie konnte, und stöhnte enttäuscht auf, als Marga ihr den Krug wegnahm. Dafür stopfte die Frau ihr ein Stück Brot in den Mund. Marie kaute die aus grob gemahlener Gerste bestehende Kante sorgfältig und schluckte sie Bissen für Bissen hinunter. Ihr Lebenswille war wieder erwacht, und sie wusste, dass sie alle Kraft brauchen würde, um eine Gelegenheit zur Flucht ergreifen zu können.
XIII.
D ie Reisenden verließen am nächsten Morgen kurz vor Sonnenaufgang die Festung, schlugen aber nicht den kürzesten Weg zu ihrem Ziel ein, denn Hulda wollte nicht bei Fremden oder flüchtigen Bekannten übernachten. Auf den Burgen und Gehöften, die zu ihrem eigenen Besitz oder dem ihres Vaters gehörten, konnte sie ihre Geheimnisse eher bewahren als unter dem Dach anderer Leute. Daher nahm sie Umwege in Kauf, bis sie schließlich die in einem abgelegenen Teil des Pfälzer Walds gelegene Otternburg vor sich sah. Von außen machte das Bauwerk wenig her, denn es handelte sich nicht um einen mächtigen Wehrbau, sondern um einen altmodischen, mehrstöckigen Wohnturm, der von einer Ringmauer umschlossen wurde, an der sich innen Ställe und Scheuern drängten. Das war nicht der Ort, den eine Frau von Huldas Stand normalerweise aufsuchte, um den erhofften Erben zu gebären. Sie wollte aber sichergehen, dass nur Menschen um sie waren, denen sie unbedingt vertrauen konnte. Jeder ihrer Begleiter auf dieser Reise und auch die Burgbesatzung waren von ihr und ihrem Vater sorgfältig ausgewählt worden und würden schon aus eigenem Interesse über die Vorgänge schweigen, die sich unter dem Dach ihrer Herrschaft abspielten. Huldas Vater Rumold von Lauenstein hatte mehrere Edelleute, die ihm verpflichtet waren, dafür gewonnen, die legitime Geburt des Erben zu bezeugen, so dass auch hier keine Zweifel aufkommen konnten.
Huldas Blick streifte Mine, deren Kind ungefähr zum gleichen Zeitpunkt zur Welt kommen würde wie das ihre. Sie hoffte immer noch, selbst mit einem Sohn niederzukommen, denn sie hasste schon den Gedanken, den Bankert der Magd wie ihr eigenes Kind aufziehen zu müssen. Und für einen Moment kroch auch wieder die Furcht in ihr hoch, diese kleine Metze könne ebenfalls nur ein wertloses Mädchen in sich tragen. Den Gedankenwischte sie jedoch schnell beiseite. Eines der beiden Kinder musste ein Sohn sein, und den Balg dieser Magd an ihre Brust zu legen war immer noch besser, als all ihren Besitz an den Vetter ihres Mannes zu verlieren. Wenn das Weib niedergekommen war, würde sie es rasch beseitigen, denn sie durfte nicht riskieren, dass Mine vor Falkos Erben auf die Knie sank und ihn ihren Sohn nannte. Seit Trines Verschwinden bewegte die Magd sich wie eine Schlafwandlerin und sprach kaum noch ein Wort. Zwar hatte Alke dem Weib erklärt, ihre Schwester sei zur Burg Hettenheim zurückgeschickt worden, weil sie auf der Otternburg nicht benötigt werde, doch Mine schien ihren Worten keinen Glauben zu schenken.
Als der Wagenzug mithilfe von zusätzlichen Gespannen den steilen Weg hochkroch, der sich zur Otternburg hinaufschlängelte, atmete Hulda hörbar auf. Beate und Alke, die zu beiden Seiten ihrer Herrin saßen und diese stützten, lächelten einander erleichtert zu.
»Das hätten wir geschafft!«, sagte Alke. »Wenn wir die Burg wieder verlassen, werden wir den Erben von Hettenheim mit uns führen.«
»Wenn Gott gerecht ist, wird die Herrin ein Mädchen zur Welt bringen – und ich auch!«, schrie Mine auf.
Die unerwartete Aufsässigkeit der Magd erregte Huldas Zorn.
»Pass nur auf, dass dich nicht das Schicksal deiner Schwester
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