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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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könne sich selbst verletzen, und sprach in beruhigendem Tonfall auf sie ein.
    Als Marie den Angstanfall überwunden hatte und wieder frei atmen konnte, fragte sie sich, ob sie nicht doch ein verständliches Wort aus der Mohrin herauslocken konnte. Sie zeigte erst auf die andere und dann auf sich. »Wer bist du? Ich heiße Marie. Verstehst du? Marie!«
    Die Mohrin starrte sie einen Augenblick lang fragend an, dann nickte sie, tippte mit dem Zeigefinger auf Maries Brust und sprach ihren Namen, wobei sie das R rollte. Dann wies sie auf sich selbst. »Alika! Alika!«
    »Du heißt Alika.« Marie wiederholte den Namen unter dem heftigen Nicken der Mohrin und atmete ein wenig auf. Mit dem Austausch der Namen schien ihr die schwerste Hürde genommen zu sein. Nun war ihre Helferin kein fremdartiges Wesen mehr, das der Hölle entschlüpft sein konnte, sondern ein Geschöpf Gottes, das einen Namen trug und mit dem sie sich bald würde verständigen können. Dann musste Marie über sich selbst lächeln, denn soweit sie gehört hatte, waren die Mohren keine Christenmenschen, also auch keine Kinder Gottes, und da mochte es mit der Verständigung schwierig werden. Aber wenn sie es sich recht überlegte, widersprach diese Auffassung, die von vielen Priestern gelehrt wurde, der Tatsache, dass Gott die gesamte Welt und damit ja wohl auch Mohren und andere Heiden geschaffen hatte. Und waren es nicht gute Christenmenschen gewesen, die ihr ihren Sohn geraubt und sie in dieses Verlies gesteckt hatten? Wie es aussah, hatte sie mehr mit der schwarzen Alika gemein als mit Hulda von Hettenheim.
    Mit einem Mal polterte und krachte es über Maries Kopf, so dass sie erschrocken zur Decke blickte. Dort öffnete sich gerade eine Klappe. Jemand hielt eine hellere Lampe herein und rief ein paar höhnisch klingende Worte nach unten. Er schien Französisch zu sprechen, denn so ähnlich hatten die Huren aus Frankreich geklungen,denen sie während des Konstanzer Konzils begegnet war. Damals hatte sie sich keine Mühe gegeben, die fremde Sprache zu lernen, und das bedauerte sie nun.
    Alika sprang auf, stellte sich unter die Luke und nahm die Holznäpfe entgegen, die jemand ihr reichte. Dem Geruch nach zu urteilen, mussten sie mit etwas Essbarem gefüllt sein. Alika gab die Näpfe an die Kinder weiter, die schweigend nach ihnen griffen und den Inhalt mit bloßen Händen in sich hineinschaufelten. Mit den letzten beiden Schalen hockte sie sich neben Marie und drückte ihr eine davon in die Hand. Sie sagte etwas, das ihren Gesten nach die Frage sein konnte, ob sie Marie füttern sollte. Das hatte sie wohl regelmäßig getan, denn in Maries Schüssel lag ein Löffel und Alika griff schon danach.
    Marie schüttelte den Kopf, nahm den Löffel und probierte vorsichtig. Das Essen bestand aus einer Art Eintopf, der Steckrüben, gehackte Gerste und ein wenig Fleisch enthielt. Letzteres war zu Fetzen zerkocht, so dass nicht zu erkennen war, von welchem Tier es stammte. Die wenigen Fasern waren so zäh, dass Marie sie zuletzt einfach hinunterschluckte und hoffte, ihr Magen würde alleine damit fertig.
    Nachdem sie gegessen hatte, meldete ihr Körper andere Bedürfnisse an. Sie sah sich hilflos um. Alika begriff sofort, was Marie quälte, sie setzte ihren Napf ab, ergriff die Kette, an der die Lampe hing, und drückte sie so, dass eine bisher im Dunkeln gebliebene Ecke ausgeleuchtet wurde.
    Dort befand sich ein viereckiger Kasten, der oben ein rundes Loch aufwies und so niedrig war, dass auch ein Kind darauf sitzen konnte. Marie legte den Säugling, der auf ihrem Schoß eingeschlafen war, vorsichtig auf den leeren Sack, welcher ihr als Lager diente, und versuchte sich zu erheben. Doch ihre Glieder verweigerten ihr den Dienst. Alika bot ihr ein zerfasertes Tuch an, in das sie sich dem Geruch nach zu urteilen in ihrer Bewusstlosigkeit entleert haben musste. Angewidertdrehte sie den Kopf weg und bat das Mädchen mit Gesten, ihr zu helfen.
    Irgendwie kam Marie mithilfe der Mohrin auf die Beine, und auf Alikas Arm gestützt erreichte sie mit der Geschwindigkeit einer Schnecke den Abtritt. Dort bereiteten ihr die gewöhnlichen Verrichtungen Höllenqualen, und als sie sich endlich entleert hatte, weinte sie vor Erleichterung und Erschöpfung. Doch die Quälerei war noch nicht vorbei, denn Alika säuberte sie mit dem gehäckselten Stroh, das zu diesem Zweck in einem Korb neben dem Kasten stand. Dabei stachen die spitzen Halme in die noch wunden Stellen und vermehrten ihre

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