Das Vermaechtnis des Caravaggio
und wie ein Klebstoff eine Verbindung herstellte, der sie nicht gewachsen
zu sein glaubte. Ein wohliger Schmerz durchfuhr sie, ein Brennen, als würde
ihre Haut mit tausend Brennnesseln gepeitscht, und als es nachließ, dieses
ziehende Kribbeln, fühlte sie sich offen und wund, als Nehmerin und Geberin,
als Urmutter und Keim, als Acker und Frucht zugleich.
Enrico legte seinen Kopf auf ihre
Brust, erschöpft wie sie selbst, und wiederholte seine Frage.
„Kommst du mit mir, Nerina?“
Am liebsten hätte sie ja gesagt, am
liebsten wäre sie mit dem Gedanken in seinen Armen eingeschlafen, ihn nach Rom
zu begleiten. Aber eines hielt sie zurück. Michele brauchte ihre Hilfe. Allein
gelang ihm kein Leben, allein würde er dem Wein verfallen und untergehen. Hatte
er nicht wiederum ihr geholfen, als er sie gefunden und gepflegt hatte? Hatte
er nicht abermals bewiesen, dass ihm an ihr gelegen war? Nicht als Frau, sondern
als Gefährtin auf seinem Weg als Maler, die mehr war als eine einfache
Haushälterin. Durfte sie ihn jetzt einfach loslassen und dem Mann folgen, der
sie liebte? War sie sich dessen sicher, liebte er sie wirklich? Wusste sie es?
Woher wusste sie es? War dies wirkliche Liebe, die in ihr brannte? Brannte sie
in ihm ebenso? Die Fragen schlugen wie Wellen über ihr zusammen.
„Zuerst muss ich zu Kräften kommen,
Enrico. Danach werde ich ... nach Malta gehen. Ich muss Michele suchen, um ihm
zumindest zu danken. Außerdem glaube ich nicht, dass er keine Schwierigkeiten
mehr hat. Warum sollte der Johanniter plötzlich von ihm ablassen? Nur weil
Michele nach Malta gereist ist? Weil er dort möglicherweise unter dem Schutz
des Großmeisters steht?“
Enrico erhob sich halb, stützte
sich mit dem Ellenbogen ab und sah sie lange an. Nachdenklich spielten die
Finger seiner freien Hand mit ihrem Haar und fuhren die dunklen Linien in ihrem
Gesicht nach. Er sagte lange nichts.
„Ich hätte es mir denken können,
Nerina. Michele meinte, du solltest ihm nachkommen, wenn du gesund genug bist.“
„Und du Schuft hast mir das
verschwiegen?“
Ihre Stimme klang spöttisch, aber
sie fühlte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals zusammenzog. Ohne dass sie etwas
dagegen unternehmen konnte, liefen die Tränen. Sie bemühte sich nicht, sie
zurückzuhalten oder wegzuwischen. Sie sammelten sich und rannen über die
Augenwinkel ab. Enrico beugte sich zu ihr hinunter und küsste die Feuchtigkeit
weg, die sich erneuerte wie bei einem Brunnen.
„Du musst ihm nachreisen“, sagte er
bestimmt und legte seinen Kopf wieder auf ihre Brust.
Sie spürte sein Gewicht und die
Wärme, die von den Wangen ausstrahlte, das raue Stechen des Bartansatzes und
die heiße Feuchtigkeit seines Atems. Seine Hand kreiste langsam auf ihrem Bauch
und ließ sie in einen sanften Nebel versinken. Wie verlangsamt wirkte alles um
sie her, als hätte sie jetzt alle Zeit, sich die Dinge recht zu betrachten. Ein
warmer Strom an Kraft floss von Enricos Hand in ihren Körper und breitete sich
dort aus, bis ihr wohlig zumute war.
Sie wusste, dass sie zu ihm
zurückkehren würde, auch wenn sie Michele weiter begleitete. Michele würde nach
Rom zurückkehren dürfen – und dort würde sie Enrico wiedersehen.
„Ich komme nach Rom! Ich komme zu
dir! Ich verspreche es“, flüsterte sie, während sie die Augen schloss und sich
ganz Enrico überließ.
25.
„Wir haben noch einen zweiten
Passagier an Bord. Ich hoffe, es stört Euch nicht!“ Den Satz des Kapitäns hatte
sie noch im Ohr.
Als würde er im Wasser verlöschen,
sank der blutrote Ball der Sonne, deren Oberfläche wie Kerzenwachs schwamm, ins
Meer. Seit ihrer Abfahrt steckte ihr Begleiter unter Deck. Sie teilte sich
einen Verschlag mit ihm, der nur mit einem Leinensack abgetrennt war. Abends
hatte sie ihn kommen, seine Sachen verstauen hören – und seither lag er auf
seiner Pritsche und rührte sich nicht. Nur der Geruch, den er mitbrachte,
verstörte sie, und deshalb war sie an Deck gegangen. In ihrem Verschlag auf dem
Hinterdeck roch es nach ... sie wollte den Gedanken gar nicht weiterdenken.
Den letzten wabernden Blutfäden
blickte sie nach, die über das Wasser bis zu ihr leckten, dann sank die Sonne
endgültig, und sie wusste, dass es jetzt keinen Weg zurück nach Neapel mehr
gab. Lange hatte sie auf die Abfahrt eines neuen Schiffes gewartet, das die
Insel anlaufen würde, monatelang eine Galeere oder Feluke erhofft, aber der
Winter hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht, und jetzt
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