Das Vermaechtnis des Caravaggio
schlief oder noch
wachte.
Wäre es nicht besser gewesen,
Enrico zurück nach Rom zu begleiten? Was trieb sie wirklich nach Malta? Sollte
dieser Michelangelo Merisi da Caravaggio seine Malerei doch allein betreiben.
Bis zur Begegnung Micheles mit ihrem Vater war er auch alleine zurechtgekommen.
Oder nicht? Hatte es zuvor schon Nerinas gegeben?
Unwillig schüttelte sie den Kopf
über ihre abstrusen Gedanken. Michele hatte ihr geholfen, jetzt würde sie ihm
helfen. Und Hilfe hatte er bitter nötig, schließlich hatte sich sein Verfolger
wieder einmal an seine Fersen geheftet.
Sie musste eingeschlafen sein, denn
sie fuhr auf, als plötzlich ihr Bettnachbar die Kajüte betrat.
„Seid Ihr noch wach?“
„Leidlich“, antwortete sie,
getraute sie sich jedoch nicht zu verneinen. „Was drückt Euch?“
„Ihr seid Künstler, wie ich gehört
habe?“
„So kann man das nicht sagen,
Fremder. Architekt. So mancher verbindet mit der Baukunst unvergängliche
Schönheit, obwohl ich mich eher für deren Zweckmäßigkeit interessiere.“
„Trotzdem wird Euer Herz sicher
höher schlagen, wenn ich Euch mitteile, dass vom letzten Schiff, das aus Malta
in Neapel eingetroffen ist, das Gerücht verbreitet wurde, der allberühmte Maler
Caravaggio weile in La Valletta!“
Kaum brachte sie den Speichel
hinunter, der sich in ihrem Mund gesammelt hatte, so schnürte ihr die Stimme
den Hals zu. Sie sah nichts, außer sternenhaften Lichtschein hinter dem
Johanniter. Wusste er von ihrer Verkleidung. Spätestens morgen, wenn sie auf
die Toilette musste, erfuhr das ganze Schiff, dass sie eine Frau war, wenn sie
sich ungeschickt benahm. Die Vorrichtungen für die Notdurft bestanden nämlich
aus einfachen Holzgestellen, die am Bug über die Bordwand hinausragten.
„Der Caravaggio, der aus Rom
fliehen musste, weil er angeblich einen Menschen umgebracht hatte?“
„Warum angeblich? Sein Jähzorn,
seine Kampfeslust sind beinahe sprichwörtlich. Er gäbe sicherlich einen guten
Galeerensträfling ab.“
„Kennt Ihr diesen Caravaggio, von
dem ich nur den Namen gehört habe?“
„Ein skandalöser Maler.“ Ihr
schien, als würde seine Stimme einen feierlichen Ton annehmen.
„Aber seine Bilder verdienen
Bewunderung. Man muss sie anbeten, so neu, so leidenschaftlich sind sie.“
„Ihr geratet ins Schwärmen. Ihr
kennt also Gemälde von ihm?“, hakte Nerina nach.
„Alle. Ich habe sie alle gesehen.
Auch das vollendete Werk ‘Tod Mariäs’, das einen Skandal ausgelöst hat, der die
künstlerische Welt bis über die Alpen erschüttert hat. Eine Feinfühligkeit, die
man dem Rüpel und Säufer nicht zutraut, prägt das Gemälde.“
„Gibt es nicht sogar Gerüchte, die
Tötung sei ein Zufall gewesen oder gar ein abgekartetes Spiel, um den Maler aus
Rom zu vertreiben? Vielleicht ist er nur aufbrausend, aber kein Mörder“, warf
Nerina ein.
Der Johanniter schwieg eine Weile,
und Nerina dachte schon, er hätte sich entfernt. Doch dann hörte sie, wie ihr
Nachbar sich zu entkleiden begann.
„Ich kann nur sagen er ist schuldig.
Dafür kenne ich ihn zu gut. Es wäre zudem nicht der erste Tote, den er auf dem
Gewissen hat.“
Ein heftiger Wellengang ließ das
Schiff ächzen. Stark krängte es auf eine Seite, um sich langsam wieder
aufzurichten. Leichter Schwindel ergriff Nerina. Was hatte der Johanniter eben
gesagt? Es sei nicht sein erster Toter?
„Woher wollt Ihr das wissen?“, fragte
sie nach und versuchte, ihrer Stimme so wenig Neugier beizumischen wie möglich.
„Wir sind noch lange unterwegs.
Vielleicht erzähle ich Euch die Geschichte irgendwann. Gott behüte Euch. Ich
schließe Euch in mein Gebet ein.“
Von der anderen Seite des Vorhangs
hörte sie, wie er ein Gebet murmelte, sich dann auf seine Pritsche legte und alsbald
schnarchte.
Nerina starrte noch lange gegen die
Decke. Welche Geschichte würde sie zu hören bekommen?
III
Der Anblick der Sonne wäre uns nicht so teuer,
wenn sie immerfort in unseren Augen leuchtete.
Die Schatten machen sie heller,
und die Finsternis lässt sie erlauchter
erscheinen.
Federico
Borromeo, 1598
1.
„Madre mia!“
Nerina ließ ihren Blick den
ausgestreckten Arm des Kapitäns entlang laufen. Sie machte eine bleierne Linie
aus, über die sich scharf abgegrenzte Wolkenbänke erhoben.
„Sturm! Und das ohne die
Möglichkeit, einen Hafen anzusteuern. Dafür sind wir bereits zu weit von
Syrakus entfernt.“
Nervös bellte der Kapitän seine
Befehle. Bald hallte das Deck wider vom
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