Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
gewesen, es zu wagen – in Opposition zu den Borgias –, nach dem Papstthron zu greifen.
Lucrezia liefen Tränen über die Wangen und verklebten ihr blondes Haar, das ihr ins Gesicht fiel. Ihr Vater betrachtete sie streng, dann hob er den Blick, um sicher sein zu können, dass sie niemand beobachtete oder belauschte. Er roch an ihr, um ein mögliches geheimes Abenteuer zu entdecken, aber seine Expertennase konnte keine Spuren körperlicher Liebe erschnuppern. Instinktiv bedeckte Lucrezia ihren großzügigen Ausschnitt mit einem fransigen Leinentüchlein und hielt das Haupt gesenkt.
»Mein Kind, was ist?«
Der Vater streichelte ihr über den Nacken. Dabei verhakte sich sein Rubinring im Perlennetz ihrer Haartracht. Um sich zu befreien, zog Rodrigo heftig an dem Verschluss, und Lucrezia fiepte erschrocken.
Sie hörte die Schritte ihres Bruders Cesare und versteckte sich hinter dem Vater.
» Es una perra !«, schrie Cesare. »Eine Hündin! Hörst du nicht, wie sie fiept?«
Cesare zog einen Handschuh aus und entblößte das von der gallischen Krankheit zerstörte Fleisch. Cesares Hand schien nur noch aus Blasen und offenen Wunden zu bestehen. Wütend holte er aus, doch Lucrezia wich dem Schlag gekonnt aus, indem sie hinter die massige Figur des Vaters floh.
»Cesare, wie sprichst du denn!«, fuhr ihn dieser an. »Wie kannst du es wagen, deine Schwester in diesem Ton zu beschimpfen? Und noch dazu in meiner Gegenwart?«
»Diese verdorbene Dirne verdiente es, ins schmutzigste Bordell von Rom verbannt zu werden. Und wahrscheinlich würde sie selbst dort nicht ihre Meisterin finden!«
» Cállate, hijo ! Schluss jetzt, Sohn! Willst du mir nun endlich erklären, warum du so zornig auf sie bist? Was hat sie dir getan?«
»Mir? Nichts …«
Cesare lächelte vorsichtig, damit die Beulen unter seinem Bart nicht aufplatzten.
»Sag du es ihm, Schwester«, schimpfte er. »Wenn du nicht willst, dass ich unserem Vater erzähle, wie du es geschafft hast, unseren Namen zu beschmutzen.«
»Vater …«, Lucrezia wischte sich die Tränen ab. »Ich bin schwanger …«
Die Gesichtszüge des Papstes entgleisten. Er presste die Lippen zusammen, taumelte zu seinem vergoldeten Thron und klammerte sich mit letzter Kraft an die Löwenköpfe auf den Lehnen und setzte sich schwerfällig. Cesare schüttelte heftig den Kopf und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum.
Der Papst holte tief Luft.
»Seit wann?«, fragte er.
»Ich glaube, seit drei oder vier Monaten, Vater.«
Rodrigo Borgia versuchte sich an die letzten Begegnungen mit seiner Tochter zu erinnern. War ihm da nichts aufgefallen? Hastig rechnete er nach. Seine Ausdauer war nicht mehr das, was sie einmal gewesen war; deshalb nahm sie sich andere, jüngere Liebhaber. Wie auch immer – die Schwangerschaft war ein Problem. Schließlich hatte Giovanni Sforza, Lucrezias Gatte, seine Impotenz erst vor Kurzem schriftlich bestätigt (zugegebenermaßen nicht ganz freiwillig – ihm war nahegelegt worden, dass der Tod durch Gift äußerst schmerzhaft sei und er die Mitgift in Höhe von 30.000 Dukaten selbstverständlich behalten dürfe). Mit diesem formalen Akt wären die Annullierung der Ehe und eine neue Hochzeit zwischen Lucrezia und Alfonso d’Aragona möglich gewesen.
»Ausgerechnet jetzt, wo dein Gatte bereit war zu erklären, dass er zur Zeugung und Penetration unfähig sei … Mierda !«, brummte der Papst und biss auf dem Nagel seines kleinen Fingers herum. »Wir haben Jahre gebraucht, bis wir ihn so weit hatten, und wenn nicht sein Onkel, Kardinal Sforza, gewesen wäre …«
»Ich glaube nicht, dass Ascanio Sforza aus purer Nächstenliebe gehandelt hat«, warf Cesare ein. »Er wird kommen und eine Belohnung von uns wollen, und, bei Gott, wir werden sie ihm geben müssen!«
»Nicht so voreilig, mein Sohn! Wir werden sehen, was er von uns verlangt, und dann überlegen, wie wir weiterverfahren«, schnaubte der Papst.
» Primum ferire, deinde quaerere , Vater. Erst schlagen – dann fragen. Das ist meine Philosophie. Ihr werdet zaghaft im Alter. Und seit die Farnese weg ist, wird auch Euer Geist schwach.«
»Ich erlaube dir nicht, so mit mir zu sprechen!«
»Was könntet Ihr mir denn anhaben? Das Kommende von Orvieto wegnehmen – für die wenigen Dukaten, die es mir abwirft? Ich bin nur ein Kardinal, und trüge ich nicht das hier an meiner Seite …«, Cesare schlug mit der flachen Hand an den Knauf seines Schwertes, das er an einer Lederschärpe über seiner
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