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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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die Schlange nicht kämpfen will?«
    Gua Li spürte die Taubheit in ihren Gliedern, biss aber tapfer die Zähne zusammen.
    »Warum antwortest du mir nicht?« Gua Li gab nicht auf.
    Mit einer elastischen Kniebeuge sprang Ada Ta direkt in den Lotussitz. »Wie war die Frage?«
    Mittlerweile war die junge Frau an die Grenzen ihrer Ausdauer gelangt. Ihre Ellbogen zuckten.
    »Einen Monat lang hast du mich ohne Unterlass geprüft, um sicherzugehen, dass ich die Geschichte Īsās auch wirklich auswendig kann. Einen Monat lang hast du mich über Einzelheiten ausgefragt, und ich glaube, dass ich meine Sache gut gemacht habe. Ich habe nichts vergessen und die Ereignisse genauso nacherzählt, wie du es mich gelehrt hast. Doch statt mich zu loben, hast du am Ende nichts gesagt.«
    »Du solltest zufrieden sein. Oder hast du vergessen, dass die Stille des Meisters das größte Lob ist? Zu schweigen bedeutet, dass ich dir keinen Fehler vorzuwerfen habe.«
    Gua Li ließ die Arme sinken und stellte den rechten Fuß auf den Boden. Ada Ta deutete mit geschlossenen Augen ein Lächeln an, doch als Gua Li ihn dafür umarmen wollte, war der Mönch bereits unter ihrem Sari hindurchgeschlüpft und stand nun hinter ihr.
    »Wie hast du das geschafft?«, fragte die junge Frau erstaunt. »Du selbst hast mich gelehrt, dass die Schwingen des Kranichs Macht über die Schlange haben. Du hast mich getäuscht, mein alter Vater.«
    »Habe ich das wirklich gesagt? Nun, es kann tatsächlich sein, dass der Kranich über die Schlange siegt – aber es hängt davon ab, um welche Sorte Kranich und welche Art von Schlange es sich handelt. Hatte ich das nicht auch gesagt?«
    »Nein«, brummte Gua Li ohne Überzeugung. »Du bist in der Tat ein Schwindler.«
    »Das ist die Natur der Schlange: Sie passt sich allen Umständen an und täuscht sogar ihren Tod vor. Ich könnte mich genauso gut mit geöffnetem Mund auf den Bauch drehen, einen ekelerregenden Geruch verströmen und die Überraschung des Jägers nutzen, um ihn genau in dem Moment zu beißen, wenn er sich hinabbeugt, um an mir zu riechen. Aber du bist meine Kranichtochter, und deshalb kann ich das nicht tun. Du würdest dich sorgen, weil du mich tot glaubtest, und zudem könnte ich es niemals über mich bringen, meine Zähne in dein Fleisch zu schlagen.«
    Ada Ta küsste sie flüchtig auf die Stirn und seufzte. »In wie vielen Sprachen kannst du deine Seele sprechen lassen?«, fragte er sie dann.
    »In denen, die du mir beigebracht hast, Vater, und ich kann so flink, wie eine Spinne in ihrem Netz krabbelt, auch in ihnen schreiben«, erwiderte Gua Li stolz.
    »Bist du bereit aufzubrechen?«
    Gua Li riss die Augen auf. Sie zögerte einen Moment, dann umarmte sie den alten Mönch stürmisch und lehnte den Kopf an seine Brust. Das genügte dem Mönch, um Maha, der Großen Mutter Natur, für diese empfangene Freude zu danken.
    »Deine stille Antwort sagt mehr als tausend Worte. Geh nun und bereite das Notwendigste vor«, wies er Gua Li an. »Leider kann die Schlange nicht fliegen wie der Kranich – uns erwartet eine Wanderschaft, die mehr als acht Monde dauern wird. Das bedeutet, du kannst mir mindestens sechsmal die Geschichte wiederholen.«
    Die junge Frau löste sich von Ada Ta und sah ihn mit ihren schwarz funkelnden Augen an.
    »Es wird also eine lange Reise werden, ja, Vater?«
    Ada Ta streckte sich auf der Felsplatte aus, nahm Schwung und landete in einem Handstand. Die Frau schickte sich an zu gehen.
    »Den Raum bewertet man in Relation zu der Zeit, die man benötigt, um die Abreise mit dem Ziel zu verbinden. Aber Zeit ist Geld, und wenn du hundert Münzen hast und eine ausgibst, ist es so, als würde dem Kissen eine Daune fehlen: Der Kopf wird es nicht einmal bemerken.«
    Gua Li beobachtete neugierig, wie der alte Mönch das Gewicht seines Körpers verlagerte und nur noch auf dem rechten Arm balancierte. Wie ein Kranich auf kurzen Beinen.
    »Wenn du aber nur noch zwei Münzen hast«, fuhr Ada Ta fort, »musst du dir genau überlegen, ob du dich von einer trennst.« Er lächelte. »Wir haben zwar keine Münzen, aber dafür viel Zeit.«
    Gua Li wurde ernst. Sie legte sich auf den Boden, um dem Alten in die Augen sehen zu können.
    »Ada Ta, warum müssen wir diese Reise tun?«
    »Pflichten sind Teil des Lebens. So wie der Regen ganz selbstverständlich vom Himmel fällt, musstest du zahlreiche Bücher auswendig lernen. Es gibt keine Erklärung, warum das Wasser fließt und die Sonne die Erde erwärmt.

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