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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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an seine Position. Sein Hinterteil schmerzte bereits, denn die Bank war härter als der Rücken des Esels, auf dem er von Castel di Guido nach Rom geritten war. In Castel di Guido war er unfreiwilliger Gast der Bruderschaft des Hospitals von Kardinal d’Aubusson gewesen. Die Seide seines Kardinalsgewandes hatte ihn vor dem Staub der Straße geschützt und vielleicht auch vor dem ein oder anderen Briganten. Ob es letztendlich tatsächlich sein Habit war, der de’ Medici vor Angriffen geschützt hatte, oder aber doch seine beiden Begleiter – zwei berittene und mit Streitäxten bewaffnete Mönche –, ließ er dahingestellt. Sie hatten ihm gute Dienste erwiesen. Im Moment warteten sie vor dem Palast auf ihn und hatten Befehl, Zuflucht bei den Colonna zu suchen, falls er nicht bis zum nächsten Morgen wieder aufgetaucht war.
    Seit über zwei Stunden wartete Giovanni nun schon auf die versprochene Audienz bei Alexander VI., und seine Ungeduld wuchs von Minute zu Minute. Er musste sich beherrschen, dass er sie nicht zeigte. Giovanni hatte teures Lehrgeld bezahlt, um die Kunst des geduldigen und ruhigen Wartens zu erlernen: Sein Vater hatte ihn und Piero bereits als Kinder dazu gezwungen, stundenlang bewegungslos auszuharren, indem er seine schärfsten Mastinos, die normalerweise für die Wildschweinjagd benutzt wurden, vor sie setzte. Um nicht einen ganzen Tag im Dunkeln bei Wasser und Brot ausharren oder die Schande des väterlichen Tadels ertragen zu müssen, saßen die beiden Brüder also zitternd auf der harten Bank, schluckten ihre Tränen hinunter und warteten, bis die Diener kamen, um die Hunde wieder zu holen. Piero reagierte sich ab, indem er nach den Möbeln und den Dienern trat, und er flüchtete sich zitternd in die Arme seiner Mutter, die ihn mit ihren leisen, sanften Worten beruhigte und seine Tränen trocknete.
    Giovanni biss sich auf die Lippen, als er an das Leid seiner Mutter dachte, die sich jedes Mal zum Gebet zurückzog, wenn sein Vater nebenan mit Lucrezia Donati schlief. Lucrezia. Ein Name, der Wollust und Verrat in sich trug. Hinter diesen Mauern mit ihren wertvollen Wandteppichen verbargen sich eine weitere Lucrezia und ein Mastino, der noch blutrünstiger war als diejenigen seines Vaters. Ihm blieb also nur, dem Rat seiner Mutter zu folgen: Wenn du etwas nicht mit Mut bekämpfen kannst , hatte sie ihn gelehrt, dann musst du mit Schläue und Geduld vorgehen . Genau deshalb hatte er auch die zweiundvierzig Stufen des neuen Turms erklommen, die zu den neuen Gemächern des Papstes führten: zweiundvierzig enge Stufen ohne Handlauf. Man erzählte sich, dass der Bau mehr als einhunderttausend Dukaten gekostet hatte.
    Zum wiederholten Male stand Giovanni auf und schaute zum Deckengewölbe hoch, das mit ein paar Öllampen erleuchtet war, die zart nach Lavendel dufteten. Im flackernden Licht betrachtete er ein paar Details von Gemälden, die wahrlich nichts Heiliges an sich hatten: groteske Teufel, ägyptische Hieroglyphen, astrologische und alchemistische Symbole, die sich mit historischen und mythologischen Figuren vermischten. Zwischen dem nackten Apoll und einem lachenden Bachus saß ein orientalisch gekleideter Satrap: Giovanni schaute genauer hin und musste grinsen, als er erkannte, dass die Figur die Gesichtszüge Rodrigo Borgias trug, nur zwanzig Jahre jünger. In der Deckenmitte thronte das Familienwappen: ein roter Stier mit geschwungenen Hörnern und gut sichtbaren Genitalien.
    »Monsignore, guten Tag. Hattet Ihr eine angenehme Reise?«
    Giovanni fuhr herum. Durch eine versteckte Seitentür hinter einem Vorhang war eine junge Frau zu ihm getreten. Sie starrte ihn mit ihren schwarzen Augen, die aus reinstem Obsidian gemeißelt schienen, an. Ihr weizenblondes Haar bildete einen reizvollen Kontrast. Sie war ein Ausbund an Anmut: Das perfekte Oval ihres Antlitzes, ihre angenehme Stimme und die eleganten Bewegungen unterstrichen die natürliche Grazie der Unbekannten. Sie musste es sein: die Braut Christi , wie Giulia Farnese, die Favoritin des Papstes und Ehefrau Orsino Orsinis, genannt wurde.
    »Ja, durchaus, Madonna, und ich hoffe, Ihr hattet trotz des Unwetters eine angenehme Nacht.«
    »Kniend und ins Gebet versunken, Monsignore. Das ist das Beste, um ganz andere Unwetter zu besänftigen.«
    Mit ihrem Ton und dem geheimnisvollen Lächeln ließ sie Giovanni ihre doppeldeutige Ironie spüren.
    »Dann hattet Ihr wohl eine bessere Nacht als ich, Verehrte, und das erfreut mich, denn ich

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