Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
solltet Ihr denn welche haben – und unterstreicht die guten.«
»Eure Heiligkeit – ich werde mit Euch trinken, aber nur unter der Bedingung, dass ich das Glas wähle, nachdem Ihr den edlen Tropfen verdünnt habt.«
»Wir würden es nie mit Tropfen aus einer Quelle ruinieren, schon gar nicht mit Wasser aus Neapel und Perugia. Kostet und fürchtet Euch nicht.«
Giovanni zögerte einen Augenblick. Der verbale Schlagabtausch war von seinem Gastgeber für beendet erklärt worden, und es gab keinen Sieger. Trotzdem durfte er sich nicht in Sicherheit wähnen – jetzt nicht und schon gar nicht, nachdem er den Papst von seinen Plänen unterrichtet haben würde. So gesehen, konnte er also auch trinken. Vorsichtig benetzte Giovanni seine Lippen mit der roten Flüssigkeit, die ihm sofort auf der Zunge brannte. Dann, nach dem ersten Atemzug stieg ihm ein durchdringender Duft in die Nase, und seine Sinne wurden von einer heißen Umarmung erfasst.
»So etwas habe ich noch nie gekostet«, stotterte er. »Was ist in diesem Wein?«
»Dem Wein wurden Myrrhe und Weihrauch zugesetzt und dann Kardamom, Zimt, Nelken, Thymian und Rhabarberwurzel zugefügt.« Der Papst hielt den Kelch zwischen seinen Händen und sog den Duft mit geschlossenen Augen tief ein. »Aus dem Orient haben Wir Ingwer, Kurkuma und Galgant kommen lassen – sie haben aus dem süßen Wein dann einen Göttertrank gemacht. Was Ihr da trinkt, ist ein Nektar, der den Geist und das Fleisch anfeuert. Ein einziger Tropfen reicht aus, damit dir die Sonne aufgeht. Und ein einziger Strahl von ihr genügt, um dich zu erwärmen und Licht in dein Dunkel zu bringen. Dieser Nektar ist eine heilige Hure, eine Mittlerin zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen. Habt jedoch Acht, de’ Medici, trinkt nicht zu viel, sonst wird seine Hitze das Wachs von Ikarus’ Flügeln zum Schmelzen bringen. Denn der Glanz der Sonne kann auch blind machen, kann einen verbrennen – und töten.«
Der Kardinal stellte das Glas ab. Aber nicht aus Angst um sein Leben, sondern weil sich der Effekt des Getränkes im Gesicht seines Gegners widerspiegelte: Alexander fiel in eine Art mystische Ekstase. Doch das war nicht wichtig. Wichtig war nur, dass er einen Alexander erlebte, wie er ihn vorher nie gesehen oder vernommen hatte. Jetzt war der richtige Moment, um ihm das Geheimnis zu verraten, spürte Giovanni. Und je länger der Papst bei Sinnen sein würde, desto leichter würde er ihn auf seine Seite ziehen können. Oder aber das Gegenteil geschah: Durch sein Geständnis könnte er genauso gut die Ketten der inneren Bestie sprengen – ein Risiko, das Giovanni kalkulieren musste. Die Medici und die Borgia – letztlich waren sie aus dem gleichen Holz geschnitzt: zwei Löwen inmitten einer Herde Lämmer. Es wäre äußerst dumm, sich gegenseitig zu zerfleischen. Und auch wenn einer der beiden Löwen wie ein Stier aussah und größer war als der andere – die Lämmer um sie herum waren so zahlreich, dass es auch noch genügend Fleisch für Hunderte Generationen nach ihnen geben würde.
»Eure Heiligkeit, darf ich nun zu Euch sprechen?«
Der Papst lehrte die letzten Tropfen, die noch in seinem Glas waren, und schenkte sich nach, ohne seinem Gast etwas anzubieten. Immerhin schob er Giovanni die Karaffe zu.
»Fühlt Ihr Euch in Castel di Guido nicht wohl? Behandelt Euch d’Aubusson nicht mit dem gebührenden Respekt? Sollte es so sein, so sagt es mir, denn Wir wünschen nicht, dass Euer Aufenthalt in Rom Euch gar zu schwerfällt. Es gibt Ministranten und Novizen, die Euch Euren Aufenthalt diskret zu versüßen wissen, ganz nach Eurem persönlichen Geschmack.«
Während seiner letzten Worte hatte Alexander sich dem Gesicht des Kardinals genähert. Ein Schwall fauligen Gestanks ergoss sich über Giovanni, sein Magen krümmte sich, und er konnte seine Abscheu nicht verbergen. Alexander machte eine Grimasse.
»Auch Giulia klagt darüber, obwohl Wir uns den Mund mit Gänsefett bestreichen und ihn mit Gerstenwasser spülen. Es scheint jedoch, als könne man nichts dagegen tun. Was meint Ihr, Kardinal? Sind es Unsere Sünden, die aus Unseren Gedärmen emporsteigen, oder die Reste der Gifte, vor denen Wir uns fürchten und die Wir ab und an doch hinunterschlucken müssen?«
Ein Augenlid und der Mund blieben offen stehen, nachdem er gesprochen hatte. Giovanni verstand, dass der Moment zu sprechen vorbei war. An diesem Tag würde er nichts mehr erreichen. Und er fragte sich, ob diese lallende Stimme
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