Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
und Ferruccio es getan habt. Ich wusste nicht, ob es mir gelingen würde, dich zu erziehen, doch die Große Mutter hat mir ihr Wohlwollen gezeigt, und ich bin ihr sehr dankbar dafür. Nun endet meine Aufgabe, und wenn du mir verziehen hast, kann ich in Frieden gehen.«
Stumm starrte Gua Li ihn an, während der alte Mönch mit gesenktem Haupt ihre Antwort erwartete.
Als die junge Frau schließlich aufstand und auf die Terrasse ging, folgte er ihr. Noch nie, schien ihr, war ihr der Himmel so nah gewesen. Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihren Leib.
»Spürst du es? Das ist sein Arm, der nach dir greift. Wie könnte ich es ablehnen, wenn er deine Hand braucht?«
Und in den dunklen Wassern, die es umhüllten, öffnete das Kind die Augen und lächelte die Welt an.
Dramatis Personae
Der tibetanische Mönch Ada Ta erfand im XV. Jahrhundert die Kampfsportart Kung Fu. Er hatte ein langes Leben und verschwand unter geheimnisvollen Umständen, nachdem er sich für eine abgeschiedene Existenz in Meditation entschieden hatte. Einige sagen, er sei unsterblich, weil er die Formel des Lamas Bogod Zonkavy kenne. Sie basiert auf der Fähigkeit des Geistes, den Körper zu verlassen und nach langer Zeit wieder in ihn zurückzukehren. Andere wiederum halten ihn für den Urahn des Lamas Daschi-Dorscho Itigelow, dessen Mumie einem Bericht des gerichtsmedizinischen Institutes der Universität Moskau aus dem Jahr 2005 zufolge seit seiner Exhumierung im Jahre 1957 weiterhin an Gewicht zulegt. Wenn das Grab des Papstes bisher nicht entweiht wurde, dann befindet sich das Buch von Īsā immer noch dort, wo Ada Ta es versteckte.
Gua Li brachte in der Tat einen Jungen zur Welt, dem für die Dynastie Īsās jedoch keine herausragende Bedeutung zukam. Die Dynastie existiert bis heute fort – beschützt von den Mönchen, den Bären und dem ewigen Eis auf den Dächern der Welt.
Der 1858 geborene Spion und Journalist, Historiker und Abenteurer Nicolai Notowitsch war nicht der Einzige, der über die im Neuen Testament nicht überlieferten Lebensjahre des Mannes Jesus schrieb. Aber er war der Erste, der einen möglichen Schlüssel für das Geheimnis um Jesu Jugendjahre fand. Viele, die mit dem Buch zu tun hatten, sind auf geheimnisvolle Weise verschwunden – so auch er. Und ebenso der Vertraute von Papst Leo XIII., Monsignore Luigi Rondelli , ein junger Kardinal, der kaum Zeit hatte, das purpurne Gewand anzulegen. Im Auftrag des Papstes selbst hatte er versucht, die Veröffentlichung des Buches Das unbekannte Leben Jesu zu verhindern, das Notowitsch im Jahr 1894 drucken ließ. Mit der Veröffentlichung löste es einen Skandal aus, doch dann wurde es erneut still um das Buch. Die Beweise, die er behauptete zu besitzen, gelangten nie an die Öffentlichkeit – und wären sie doch zugänglich gemacht worden, hätte die Kirche sie für nichtig erklärt und umgehend wieder in der Versenkung verschwinden lassen. Was die Kirche jedoch nie unterdrücken können wird, sind die Fragen der kritischen Geister. Denn niemand, der nach Wissen dürstet, kann sich der Logik der Tatsachen verschließen, dass über die berühmteste historische Persönlichkeit auf Erden nur eine äußerst lückenhafte Biographie existiert.
Alexander VI. , alias Rodrigo Borgia, starb am 18. August 1503 nach einem Gastmahl im Hause von Kardinal Adriano Cortellesi. Fatalerweise trank er einen mit Cantarellakraut vergifteten Wein – ob er ihm vom Kardinal aus Versehen oder mit Absicht kredenzt wurde, sei dahingestellt. Gründe, den Papst zu hassen, hatte Cortellesi allemal. Vor allem aber hatte der Kardinal Angst um seine Pfründen, die er sich erst vor kurzer Zeit gesichert hatte und die im Falle seines Todes automatisch der Kirche – und damit den Borgia – zufielen. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass der Mörder Alexanders VI. sein eigener Sohn Cesare war, denn entgegen seiner sonstigen Trinkgewohnheiten hatte er an jenem Abend nur am Wein genippt. Das trug ihm zwar Bauchschmerzen ein, kostete ihn jedoch nicht das Leben.
Nachdem der dynastische Traum zerplatzt war, jagte Cesare Borgia sein ganzes restliches Leben lang dem Erwerb einer Krone hinterher. Von den Prinzessinnen der Königreiche Neapels und Aragoniens verschmäht, tröstete er sich schließlich mit Carlotta di Navarra, die er 1499 ehelichte, nachdem er des Purpurs enthoben worden war. 1500 wurde ihm eine Tochter geboren, Luisa, die ihn nicht interessierte und die er nie sah. Wenige Wochen nach dem Tod seines
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