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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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kleinen Mädchens.
    »Deine Worte sind wie in Honig getauchte Pfeile«, sagte der Sultan, »aber sie verursachen keine neuen Wunden; vielmehr wirken sie wie eine Salbe, die die Narben der alten verheilen lässt. Ich bin aber nicht nur der Herrscher dieses Imperiums – ich bin die Hand Allahs, der höchste Würdenträger des Islam, der Erbe Mohammeds, Er sei gepriesen. Und wenn Er der letzte Prophet ist, so ist Jesus der zweitwichtigste. Ich habe bereits verstanden, wo seine Worte hinführen – aber ich kann mir keine Zweifel über die Natur Gottes erlauben. Wenn ich den Zweifeln erlaubte, heimlich in mein Herz zu schlüpfen, und sie es früher oder später in Besitz nähmen, dann wären sie auch für meine Feinde sichtbar, die davon gewiss profitieren würden. Und damit beende ich heute, wenn auch mit einem weinenden Auge, unsere gemeinsamen Stunden.«
    Bayezid blieb sitzen, denn es gab noch etwas, das er sagen wollte. Ada Tas Augen verengten sich zu zwei Schlitzen, als er zu erahnen versuchte, was der Sultan als Nächstes sagen würde. Der Sultan war ein intelligenter Mann mit scharfem Verstand. Er hatte seinem Land, das durch den Krieg seines Vaters von Feinden erobert worden war, Ruhe und Frieden gebracht. Und so, wie sein Vater »der Eroberer« genannt wurde, wurde er »der Gerechte« genannt. Gerechtigkeit aber kann bisweilen grausam sein, wusste Ada Ta.
    »In einer Woche werdet ihr abreisen«, befahl der Sultan. »Ihr geht nach Rom, wo ihr einen Mann treffen werdet, der sich weiter um euch kümmert. Ihr werdet das Tagebuch, das ihr so eifersüchtig bewacht habt, mit euch nehmen. Auch das Haar von Gua Li, das ihr so umsichtig zwischen die Seiten legtet, ist wieder an seinem Platz. Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, dass ich das Buch nicht finden würde, nicht wahr? Aber seid unbesorgt, ich habe es wie eine Reliquie des Propheten behandelt. Seine Worte lautet der Titel – wie ihr seht, bin ich bestens unterrichtet. Mein treuester Vorleser, einer der wenigen, der dieser sonderbaren Schrift aus Zeichen und Bildern mächtig ist, hat mir einige Passagen vorgelesen. Die Geschichte in dem Buch stimmt mit der süßen Erzählung der jungen Frau hier überein.«
    Seine Stimme zitterte kaum merklich, und Bayezid senkte das Haupt. Dann holte er tief Luft, denn das, was er zu sagen hatte, kam aus den Tiefen seiner Seele.
    »Ich hätte Gua Li zu einer Königin gemacht, wenn ich gespürt hätte, dass sie mich angenommen hätte. Sie wäre meine Scheherazade gewesen und ich ihr König Schahrayâr. Wir hätten Tausendundeine Nacht erneuert, wenn sie nur gewollt hätte.«
    Die letzten Worte hatte der Herrscher mit fast versiegender Stimme gesprochen. Er machte eine Geste, woraufhin sich seine jungen Dienerinnen zurückzogen. Als ihre Fußglöckchen nicht mehr zu hören waren, ergriff der Sultan erneut das Wort.
    »Es ist überaus seltsam: Sie gibt sich, als sei sie bereits eine Königin und ich ihrer nicht würdig. Vielleicht wollte mir Allah ein Zeichen senden und mich erinnern, wie vergänglich ich bin und worin meine Aufgabe liegt. Daher ist es nun an der Zeit, dass wir uns trennen. Ihr werdet von einem Mann meines Vertrauens begleitet, der auch euer Mittelsmann in dem Land sein wird, das der Mann im weißen Gewand regiert.«
    Bewegungslos hatte Ada Ta zugehört, die fragenden Blicke Gua Lis ignoriert. Die Feige hatte sich geöffnet, aber noch nicht ihre Frucht im Innern preisgegeben. Im Gegensatz zu Bayezid hatte der Mönch nur einen Vorteil: Er konnte warten – eine Tugend, die den Mächtigen zumeist fehlt –, und so wartete er ab.
    »Ihr seid die fleißigen Bienen, die von weit her kamen und die Tulpen meines Reiches befruchteten. Ihr aber habt von unseren Blütenständen den Pollen gesammelt, den ihr bis in die Christenheit tragen werdet. Ihr werdet die Boten einer neuen Allianz sein. Mir wird sie Frieden und Macht geben und euch die Möglichkeit, eure Mission zu vollenden. Ihr werdet den weißen Papst treffen und die Möglichkeit haben, seine schwarze Seele zu verwandeln.«
    Ada Tas Stab klopfte auf den Boden, und gehorsam erhob sich Gua Li. Mit gebeugtem Haupt trippelte sie in ihrem engen grünen Sari auf ihn zu, während sie abwechselnd zwischen den beiden Männern, die sich schweigend gegenüberstanden, hin und her blickte.
    Ada Ta brach als Erster das Schweigen.
    »Eine Jungfrau gebar Drillinge. Ein weißes Kind mit blauen Augen, ein schwarzes mit dunklen und ein safranfarbenes mit Augen wie zwei Mandeln.

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