Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
den Zinnen brennen Feuer. Ich ersti…hicke, Wesir. Weder ein Sklave noch eine Ratte können entkommen …«
»Das hoffe ich für dich. Halt, was war das?«
»Wesir, mein Hals. Ihr habt mir große Schmerzen bereitet.«
»Das war nicht dein Hals, du Sohn einer Hündin.«
Er zückte seinen Krummdolch, den Handschar mit Elfenbeingriff, und lauschte. Zwei kleine schwarze Äuglein verengten sich, als wollten sie noch unauffälliger werden. Der Wesir ging auf ein paar Schornsteine zu, die sich gut als Versteck eigneten. Flink sprangen ein paar nackte Füße zur Seite, und geschickt wurde ein Steinchen auf die gegenüberliegende Seite geworfen. Mit einem Ruck drehte sich der Wesir um und lief zu den Stufen, die auf das Dach führten. Ein zerfetztes Tuch, das im Wind wehte, berührte ein paar lose Ziegel. Der Wesir steckte seinen Dolch weg.
»Die Sache gefällt mir nicht …«
»Vielleicht war es ein Paar, das Trost und Ruhe suchte«, sagte Osman, als er ihn erreichte, »oder ein Wächter, der seine Runde dreht.«
»Oder ein Dschinn, der auf Ziegenfüßchen seinen Bruder besucht«, feixte der Wesir zurück. »Sag mir, was mit der letzten Kiste geschah.«
»Ich habe sie auf das Schiff der Fremden bringen lassen: Der Tod reist mit ihnen. Als ich ihm sagte, dass es der Wunsch der Wächterin des Berges sei, hat der Kapitän keine weiteren Fragen gestellt – vor allen Dingen, als ich ihm sein Säckchen mit einem Haufen silberner Akçe füllte.«
»Gut gemacht.«
»Ich bin ein Muselmane, Wesir.«
»Du bist ein Schlitzohr, Osman, und ich glaube nicht, dass du ihm mehr als zwei, drei Akçe gabst.«
»Ihr beleidigt mich. Wenn der Moment gekommen ist, möchte ich die Gewähr haben, dass Allah mir die zweiundsiebzig Jungfrauen schenkt.«
»Bete du lieber, dass die Ratten dem Willen Allahs folgen und ihren Akt der Zerstörung vollbringen. Für den Rest solltest du dich mit den Überbleibseln des Sultans zufriedengeben, die zwar keine Jungfrauen mehr sind, aber gleichwohl zu den schönsten Frauen des Reiches zählen. Wer reist mit den Teppichkisten?«
»Ich selbst. Ein verkrüppelter Händler fällt nicht weiter auf, und meine dunkle Haut erweckt ebenfalls kein Misstrauen.«
»Sollte sich die Kiste während der Reise öffnen, dann verbrenne alles – auch das Schiff –, dann wirst du über kurz oder lang auch auf die zweiundsiebzig Jungfrauen treffen.«
Jungfrauen oder Kurtisanen – was machte das schon für einen Unterschied! Die Frau war für zwei Dinge geschaffen worden – um dem Manne Freude zu bereiten und um ihm Söhne zu gebären. Seine Mutter hatte ihr ganzes Leben lang nichts anderes getan und dafür das Lob seiner vielen Väter bekommen. Die Verwendung von Frauen sowie die Kunst des Einschmeichelns und der Unterwürfigkeit – und wie man daraus Profit zieht – hatte er von ihnen gelernt. Im Schatten der Mächtigen war er vom verhöhnten und getretenen Krüppel zum Vertrauten der Wächterin aufgestiegen, obwohl er sie noch nie zu Gesicht bekommen hatte.
Im richtigen Moment würde er – und nicht dieser unfähige Abdel el-Hashim – der einzig wahre Großwesir werden. Und wer weiß, vielleicht würde er sie eines Tages sogar ins Bett bekommen und endlich ihr allzeit verborgenes Antlitz sehen dürfen. Tausende Male schon hatte er sie sich wie eine Königin vorgestellt: nicht mehr ganz jung, aber mit feurigen Augen, einer feinen Nase und verführerischen Lippen.
Osman machte eine unbeholfene Verbeugung und humpelte von dannen.
Wie ein Rabe mit gebrochenem Flügel, dachte sich der Großwesir. Mit einer schwungvollen Geste warf er sich seinen Umhang über die Schultern, sah sich rasch nach allen Seiten um und stieg dann den Turm hinauf, um seinen Kontrollgang zu machen.
Mittlerweile war das Meer nicht mehr von dem dunkelblauen Himmel zu unterscheiden, und auf dem Bosporus wehte eine frische Brise. Der kühle Wind ließ die Frau ein wenig erschauern, aber sie wartete, bis sich die zwei Männer entfernt hatten. Leise und flink wie eine Katze schlich sie die Wendeltreppe hinab, die sie ins Serail, direkt in die Gemächer von Bayezid dem Gerechten führte. Die Janitscharen am Eingang hatten den Befehl, sie immer durchzulassen – außer der Sultan war gerade mit einer anderen Konkubine beschäftigt. Sie kniete vor ihrem Herrn, der sie anlächelte und ihr bedeutete, sich zu erheben.
»Vater«, sagte sie, »der Wesir und der Hinkende haben über das Attentat auf Eure Person gesprochen und über einen verseuchten
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