Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
des Mannes lag auf dem Boden. Um ihn herum waren vier Laternen aufgestellt. Der Leichnam war auf unnatürliche Weise aufgedunsen, das Gesicht von Äschen zerfressen und von Flusskrebsen zerkratzt. Seine fein glänzenden Kleider konnten nicht das viele Blut verbergen, mit dem sie durchtränkt waren, und der Hals – grau wie das Gesicht – war von den vielen Stichen durchlöchert.
»Das ist der Herzog von Gandia«, flüsterte ein Schiffer. »Von Dolchstößen ermordet. Sie haben ihn gerade herausgefischt, zusammen mit dem Kadaver eines Unbekannten.« Er zeigte auf einen Mann, der ganz in der Nähe lag.
»Die arme Seele da, die vermutlich den Mörder sah, ist bereits in Ketten, seht Ihr?«
»Nie einmischen«, raunte Gabriel Ferruccio zu und wandte sich dann wieder an den Schiffer. »Weiß man schon, wer es war?«
»Der Herzog trug am Körper ein Säcklein mit dreißig Golddukaten. Viel wichtiger ist jedoch die Frage: Wer ist der Dieb, der es sich erlauben kann, auf solch einen Reichtum zu spucken?«
»Du willst also sagen, dass es der …«
»Sicher, und zwar mit eigener Hand – ich verwette einen Wildschweinschinken darauf, dass es Selbstmord war. Nicht einmal sein Vertrauter Micheletto hätte ihm das Gold gelassen, denn so hätte er wenigstens den Verdacht auf so einen wie dich gelenkt.«
»Der eine Sohn ermordet, der andere der Mörder des Toten. Was denkt der Papst eigentlich, wer er ist? Adam aus der Bibel?«
Die zwei stießen ihre Ellbogen aneinander und lachten hämisch, aber Ferruccio stimmte nicht ein, sondern biss sich auf die Lippen. Das Treffen mit dem Papst war geplatzt, so viel war sicher. Nun würde ein Sicherheitskordon um den Papst gezogen werden, den nicht einmal der Erzengel Michael durchtrennen könnte. Und es war egal, ob das, was sich die beiden Männer gerade erzählten, der Wahrheit entsprach, oder ob es sich um den Racheakt einer rivalisierenden Familie handelte. Und nun? Aus seinem Geldbeutel, den er am Gürtel trug, nahm Ferruccio zwei Dukaten und winkte Gabriel zu sich her.
»Das ist für dich; du hast mir gut gedient. Wenn du mich in der Taverne aufsuchst und mir Neuigkeiten überbringst, wird ab jetzt täglich einer für dich herausspringen. Und zwar jeden Morgen, kurz vor der zwölften Stunde.«
Ferruccio fasste sich an sein Herz, denn dort fühlte er sich getroffen, und er wusste nicht, wohin er gehen sollte. Dann machte er sich zur Basilika auf. Vielleicht würde sich ja ein Engel geneigt zeigen, ihm zu helfen und ihm einen Ausweg zu weisen.
»Ich weiß wirklich nicht, wer es war, edler Ritter. Ich schwöre es auf die Heilige Jungfrau!«
In seiner Zelle im Nona-Kerker flehte der Schiffer seinen Kerkermeister auf Knien an. Mittlerweile verfluchte er seinen natürlichen Drang, gleich zu reden, wenn ihm die Mächtigen die Zunge lockerten – hätte er sich doch bloß auf selbige gebissen!
Carlo Canale verpasste ihm erneut einen brutalen Schlag ins Gesicht, und die lederne Armkachel riss dem Schiffer das linke Jochbein auf. Das Blut floss ihm direkt in den beinahe zahnlosen Mund – die Schneidezähne waren ihm bereits beim ersten Schlag aus dem Mund geflogen. Giorgio, genannt der Slawe , versuchte auszuspucken, aber die blutige Spucke rann ihm nur das Kinn herunter.
»Ich bin alt und taub«, sagte der Kerkermeister ruhig, »deshalb wiederhole, was du tatest, wie, wo und wann. Und lass dabei die Madonna aus dem Spiel. Die hat mit ihren ganz eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Jungfrau hier bin ich, und die edlen Herren dort sind es auch – und alle warten sie auf ein Zeichen von mir, um mit dir ihre Unschuld zu verlieren.«
Einige der Wachen fassten sich demonstrativ ans Gemächt, andere streckten ihm obszön die Zungen heraus. Carlo Canale schüttete ihm einen Eimer Wasser ins Gesicht und wandte sich an den anderen Mann, der sich vor lauter Angst bereits in die Hosen gemacht hatte.
»Ich tat nichts weiter als das, was mir befohlen wurde, mein Herr: Ich warf die Netze aus, die besten und stärksten. Die für den Stör, und ich habe sie noch nicht ganz bezahlt. Ich nahm Korken und das Lot, damit es sich weit öffnet und gut über den Grund schleppt.«
»Wann?«
»Es schlug zum Komplet, Herr, und ich hörte den Aufruf, den Mann zu suchen.«
»Und als du ihn schließlich aus dem Wasser zogst?«
»Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen, just als die Glocken des San-Girolamo-Hospitals zur Morgenmette riefen. Er war schwer, und so barg ich ihn kurz vor der sechsten
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