Das Vermächtnis des Martí Barbany
die kleine Fußbank vor der Wagentür aufstellte, um ihr das Aussteigen zu erleichtern. Die Dame bedeutete ihm, indem sie den Zeigefinger an die Lippen legte, dass er schweigen sollte.
Die erstaunte Miene des Adligen erheiterte die Gräfin.
»Mein guter Amat, ich werde Euch unendlich dankbar sein, wenn Ihr mir helft und Schweigen bewahrt. Als guter Soldat wisst Ihr, dass die Überraschung der halbe Sieg ist. Allerdings bitte ich Euch, dass Ihr Euch um meine Männer kümmert: Sorgt dafür, dass sie ausruhen können, Essen und Pferdefutter bekommen.«
Der verblüffte Amat begrüßte Gilbert d’Estruc, der aus seinem Sattel vergnügt die Szene beobachtete, und führte die Anweisungen aus.
Ohne auf Widerstand zu stoßen, drang Almodis in das Zelt ihres Gemahls ein. Bevor sie zu dem großen Vorhang kam, der den Beratungsraum vom Rest trennte, ordnete sie im Vorzimmer ihre Frisur vor dem Metallspiegel, schüttelte sich die Kleidung ab und zog den Halsausschnitt hinunter, bis der Ansatz ihres üppigen Busens, herausfordernd
hervortrat. Die Stimmen aus dem Innern gaben ihr zu erkennen, dass der Graf nicht das Geringste von der Überraschung ahnte, die ihn erwartete. Almodis holte tief Luft und atmete langsam aus. Dann schob sie mit einer raschen Bewegung den Vorhang beiseite. Selbst wenn die Reise viel beschwerlicher und unbequemer gewesen wäre, hätte sie die erstaunte Miene ihres Gemahls und aller übrigen Anwesenden reichlich für ihre Mühen entschädigt.
Ein allgemeines Schweigen trat ein. Dann packten die Kriegsbaumeister, als hätten sie einen Befehl erhalten, ihre Pläne zusammen, und alle gingen hinaus, weil sie es für selbstverständlich hielten, dass die Gräfin diesen langen und abenteuerlichen Weg nicht zurückgelegt hatte, um sich mit ihnen zu unterhalten.
Das Grafenpaar stand sich Auge in Auge gegenüber.
»Meine Geliebte, ich weiß nicht, ob ich etwas Wahres erlebe oder ob mir mein verblendeter Geist den schönsten und fiebertrunkensten aller Träume darbietet.«
»Ich bin kein Trugbild, mein Gatte: Ich lebe.«
Ramón ging zu ihr, nahm sie in die Arme und führte sie zum Bett.
Als er sich schon seiner Kleidung entledigen wollte, legte Almodis die rechte Hand auf die Brust ihres Gemahls und hielt ihn zurück.
»Jetzt nicht, Ramón«, flüsterte sie. »Es gibt eine Zeit, um zu reden, und eine Zeit, um zu handeln, und die Zeit zum Handeln ist noch nicht gekommen.«
»Aber...«
Almodis streichelte zärtlich die Lippen ihres Gatten und erklärte nachdrücklich: »Alles zu seiner Zeit. Ihr seid hier, um etwas zu erreichen, nicht wahr? Wenn Ihr mich liebt, bringt mir den Tribut Tortosas, und noch in dieser Nacht gehöre ich Euch so wie nie zuvor.«
DRITTER TEIL
Orient und Okzident
43
Martí Barbanys Weltreise
Februar 1054
M artí stand im Schutz des Hüttendeckszelts auf dem Achterkastell des Schiffs und erinnerte sich immer wieder an die letzten Ereignisse vor seiner Abfahrt, die schon fünf Monate zurücklag. Das Meer war ruhig, und das Schiff hatte bereits die Spitze des italienischen Stiefels hinter sich gebracht. Als sie durch die Meerenge von Messina fuhren, dachte er an den wunderbaren Verlauf seines Lebens. Wer hätte ihm zwei Jahre zuvor sagen können, dass er diesen Moment erleben würde, anstatt mit den Bauernwagen seiner Mutter die Jahrmärkte der Nachbarorte zu besuchen, um Bodenfrüchte und Hoftiere zu verkaufen? Inzwischen hatte er neun Häfen besucht, und in allen hatte er gute Geschäfte gemacht, wobei er sich nach Baruchs Ratschlägen richtete. Stets unterstützten ihn die Teilhaber des Barcelonesen, sie teilten ihm mit, womit sich am vorteilhaftesten handeln ließ, wenn man von der Route ausging, der sein von Jofre geführtes Schiff von Barcelona aus folgen würde. In jedem Zwischenhafen führte er sorgfältig alle Schritte aus, die notwendig waren, um das Schiff zu versichern, indem er sich gewissenhaft nach den Anweisungen richtete, die ihm der kluge Geldverleiher mitgegeben hatte. In manchen Häfen nutzte er den Umstand, dass das Schiff mehrere Tage lang be- und entladen wurde, und suchte das Landesinnere auf, sodass er auf diese Weise zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten erkundete. Gegenwärtig segelte er nach Zypern. Im Geist versetzte er sich an den Tag zurück, als er zum letzten Mal etwas von Laia erfahren hatte.
Er hatte nervös an Adelaidas Haustür gewartet und gehofft, dass er bald den unverwechselbaren Schatten seiner Geliebten entdecken werde. Plötzlich
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