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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chufo Lloréns
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hatte. Doch dann überwältigte ihn maßlose Trauer, als er an den Menschen dachte, den er nicht hatte retten können... Nun war er ein reicher Mann, seine Schiffe liefen in den Mittelmeerhäfen ein, sein Haus bei Sant Miquel bekam allmählich das Aussehen eines Herrenhauses, er hatte seinen Laden erweitert, seine Wagen besuchten die Jahrmärkte und kauften große Posten neuer Erzeugnisse.
    Die Menge rückte unaufhaltsam vor, und die Gerichtsdiener konnten sie nur mit größter Not zurückdrängen. Der Wein hatte die Leute angeregt, und an der einen oder anderen Ecke hatte man aus nichtigen Gründen Dolche und Messer gezogen. Schließlich gelangte Martí in die Nähe seines Hauses. Da krampfte sich ihm das Herz zusammen. Dort, an einem Steinsockel, der einen Bogen stützte, glaubte er eine bekannte Gestalt zu sehen, die zusammengekauert dasaß. Er bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg durch den Menschenstrom, stieß eine Gruppe junger Leute beiseite, die vor der Gestalt stehen geblieben waren, und forderte sie auf weiterzugehen. Vielleicht lag es an seiner Miene oder seiner entschlossenen Haltung oder vielleicht auch daran, dass der Wein ihren Verstand getrübt hatte, jedenfalls beschlossen sie, es wäre besser, sich anderswo zu vergnügen. Als die Gestalt seine Stimme hörte, hatte sie erschrocken den Kopf gehoben: Die dunklen Augen Ruths, der jüngsten Tochter seines Freundes Baruch, blickten ihn flehend an.
    Martí nahm sie an den Armen und hob sie hoch. Die Menschenmenge drängte sie zu ihm. Das Mädchen betrachtete ihn wie eine Erscheinung.
    »Was tut Ihr hier?«

    Mit stockender Stimme und unter Tränen erklärte ihm Ruth, was vorgefallen war.
    »Wir haben versucht heimzukehren. Ishaí lief als Erster. Er hatte meine Schwester an der Hand genommen, und nach Batsheva kam ich. An einer Ecke drängte sich eine Gruppe zwischen uns. Ich sah, wie die Köpfe der beiden in der Menge verschwanden. Batsheva schrie und wollte zurück, aber Ishaí ließ sie nicht los. Lange Zeit danach kam ich zu den Toren des Call : Sie waren schon geschlossen. Ich habe gewartet, weil ich dachte, dass meine Schwester und ihr Begleiter noch nicht eingetroffen waren, aber so war es nicht. Offenbar konnten sie rechtzeitig hineinschlüpfen. Dann wusste ich nicht, was ich tun und wohin ich gehen sollte, und schließlich bin ich durch die Stadt zu Eurem Haus gelaufen... Ich kenne sonst niemanden... Ich habe gehofft, dass ich Euch irgendwann kommen sehe.«
    »Ihr habt Euch furchtbar leichtsinnig verhalten. Ihr wisst ja, wie das ist: Wenn die Leute in der Nacht einen Juden außerhalb des Call entdecken, kann alles Mögliche geschehen.«
    »Ich wusste nicht, wo ich sonst Hilfe finden sollte«, schluchzte Ruth.
    »Lasst meine Hand nicht los und folgt mir.«
    Ruth ergriff die Hand, die ihr Martí hinhielt, und dabei empfand sie trotz des Schreckens, der sie gepackt hatte, beinahe Freude über diese Lage. Dann versuchten beide, sich zwischen den Leuten zu dem Platz durchzuzwängen, an dem sich die Sant-Miquel-Kirche befand.
    Martí fühlte sich erleichtert, als er entdeckte, dass Omar, sein Verwalter Andreu Codina und Mohammed, der schon zu einem kräftigen jungen Burschen herangewachsen war, sowie eine wachsame Dienerschar mit Fackeln und dicken Knüppeln an seiner Haustür standen. Er drückte die Hand des Mädchens kräftiger und schärfte ihr ein: »Wir gehen jetzt über die Straße. Lasst mich um Gottes willen nicht los.«
    Ruths Augen gaben eine beredte Antwort. Omar hatte sie inzwischen entdeckt, und zusammen mit zwei Dienern drängte er sich durch die Menge und bahnte einen Weg.
    Endlich befanden sich alle hinter den geschlossenen Toren des großen Hauses in Sicherheit.
    Omar äußerte sich ängstlich.
    »Gnädiger Herr, ich habe nie etwas Ähnliches erlebt: Die Leute sind wahnsinnig. Die öffentliche Beleuchtung hat sie ganz durcheinandergebracht. Manche wollten sogar in den Hof eindringen, und wir mussten
sie mit Stöcken hinausjagen. Es heißt, dass es an manchen Orten Tumulte gegeben hat. Ich hatte Angst um Euch.«
    »Es ist nichts geschehen, Gott sei Dank.« Als er den fragenden Blick seines Angestellten sah, fügte er hinzu: »Du kennst ja Ruth, die jüngste Tochter meines Freundes Baruch. Aus Vorsicht hat man die Tore des Call früher als sonst geschlossen. Ruth wurde von ihrer Schwester getrennt und ist draußen geblieben. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn ich sie nicht herausgeholt hätte. Sie übernachtet hier. Rufe

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