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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chufo Lloréns
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granatrote Strümpfe und leichte Corduaner Lederschuhe trug und seine nach der karolingischen Mode geschnittenen Haare mit einer zierlichen Florentiner Mütze bedeckte. Er kam vorzeitig zu seinem Stelldichein, und nachdem er das Haus herausgefunden hatte, spazierte er auf der Straße hin und her und wartete darauf, dass die Glocken von Sant Miquel zur vollen Stunde läuteten, damit er die Treppe hinaufsteigen und die Herrin seiner Träume treffen könnte. Das Haus war ein bescheidenes Gebäude mit einer einzigen Straßentür, über der sich ein Vordach befand, und daneben sah man eine Mauer mit dreieckigen Luftlöchern. Sie belüfteten einen Raum, der offenbar zur Getreidelagerung diente. Martí stellte sich in das angenehme Halbdunkel des Eingangs, und die kühle Luft beruhigte ihn. Er spürte, dass sein Herz wie wahnsinnig klopfte, und seine Zunge war trocken wie Zunder. Er stieg die Treppe hoch, wobei er immer zwei abgenutzte Stufen auf einmal hinaufsprang, und erreichte den Absatz des einzigen Stockwerks. Martí atmete tief ein und klopfte an die Tür. Schnelle Schritte näherten
sich, und nach einer äußerst kurzen Wartezeit, in der er spürte, dass man ihn heimlich beobachtete, ging die Tür auf. Eine Frau mittleren Alters mit angenehmen Gesichtszügen und grauen Haaren erschien lächelnd an der Schwelle. Eher bestätigend als fragend sagte sie: »Ihr seid gewiss Martí Barbany.«
    Der junge Mann nahm die Mütze ab und antwortete: »Der bin ich.«
    »Man erwartet Euch drinnen. Kommt herein.«
    Martí gehorchte. Die Frau schloss die Tür und setzte hinzu: »Seid so freundlich und folgt mir.«
    Sie liefen durch einen schmalen Korridor und kamen zu einem Türchen, das aus kleinen Holzfeldern bestand. Die Frau klopfte, und von drinnen antwortete eine Stimme, die, so kam es Martí vor, die Aixas zu sein schien.
    »Herrin, der Besucher ist da.«
    Die kleine Tür ging eine Handbreit auf, und im Türspalt erschien das lächelnde und strahlende Gesicht seiner ehemaligen Sklavin.
    Die ältere Frau entschuldigte sich: »Ich gehe. Ich habe viel zu tun.«
    Aixa setzte hinzu: »Gleich bin ich bei Euch.« Dann machte sie die Tür weit auf und sagte: »Herr, Ihr könnt eintreten. Man erwartet Euch.«
    Martí betrat das halbdunkle Zimmer, und seine Augen konnten nur das Profil des Mädchens erkennen. Sie stand im Gegenlicht, am Fenster, dessen Läden angelehnt waren.
    Aixas Stimme erklang hinter ihm.
    »Mein Herr, hier ist Laia. Wenn ich Euch von einigem Nutzen war, ist meine Seele überglücklich. Laia, das hier ist und war der beste Herr, den ich in all meinen Lebenstagen kennenlernen durfte, und er wird es immer sein.«
    Dann ging die Dienerin diskret hinaus und schloss die Tür.
    Die jungen Leute standen einander gegenüber. Martís Augen hatten sich ans Halbdunkel gewöhnt, und das Mädchen wirkte auf ihn wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Sie trug einen marineblauen Rock mit einem sehr hohen quadratischen Ausschnitt. Ein weites Tuch bedeckte ihre Schultern. Ihre Haarflut war zu zwei Zöpfen gebunden, und der gerade Scheitel teilte das straffe Haupthaar in zwei gleiche Teile. Darauf lag wie eine Krone ein dickes Band, das mit hellblauem Damast überzogen und mit Silberfäden durchwirkt war. Beide gingen, als hätten sie sich abgesprochen, zu der Bank, die sich in der Zimmermitte befand, und setzten sich, ohne den Blick voneinander abzuwenden.

    »Herrin«, begann Martí mit tief gerührter Miene, »seit dem Tag, an dem meine Augen Euer Gesicht von Weitem wahrgenommen haben, hat Euer Bild meine Träume beseelt und mein Herz schneller schlagen lassen. Wenn Ihr mir Hoffnung gebt, werde ich mich unablässig bemühen, bis ich Eure Hand verdiene, wenn nicht, verschwinde ich aus Eurem Leben und kehre nie zurück.«
    Mit gesenktem Kopf und errötend hörte das Mädchen auf Martís Worte. Dann blickte sie ganz langsam zu ihm auf.
    »Ich stehe in Eurer Schuld, und selbst wenn ich tausend Jahre lebte, könnte ich diese Schuld nicht abtragen. Ihr habt mir den größten Trost meines Lebens gebracht. Ihr sollt wissen: Seitdem meine Mutter gestorben ist, habe ich niemandem meine Sorgen anvertraut, bis Ihr mir Aixa geschickt habt. Außerdem habt Ihr mir die Ehre erwiesen, mir einen Brief zu schreiben, den ich nicht zu verdienen glaube, denn Ihr wisst ja nicht, wie ich bin, und Ihr kennt mich nicht. Doch ich muss Euch sagen, es ist das erste Mal, dass sich jemand mit solchen Worten an mich gewandt hat, und deshalb fühle ich

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