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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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gottesfürchtige Erziehung vergessen hatte. In seinem Heim wohnten die Sünde und das Verderben. Eine verkrüppelte und eine stumme Magd dienten ihm, und sein Weib stellte sich als eine Hexe heraus!«
    »Was sagt Ihr da?«, fragte Kuno misstrauisch und fasziniert zugleich. »Eine Hexe? Wie konntet Ihr Euch da sicher sein?«
    Everard schüttelte den Kopf. »Es würde wohl zu weit führen, dir leichtgläubigem Taschendieb alle meine Beobachtungen und Schlussfolgerungen genau zu erläutern, doch sei dir sicher, sie ist eine Hexe!«
    »Wie ging es weiter?«
    »Ich habe die Hexe mit Hilfe der stummen Magd des Hauses enttarnt und den Hamburgern das wahre Gesicht Runa von Sandstedts aufgezeigt. Walthers Weib wurde daraufhin festgenommen und eingesperrt, und ich wurde als Held verehrt.«
    »Auch von Eurem Sohn …?«, fragte Kuno vorsichtig, der sich nicht vorstellen konnte, dass ein Mann es guthieß, wenn sein eigenes Weib angeprangert wurde.
    »Nein. Walther glaubte mir nicht. Genauso wenig wie alle anderen aus seiner und ihrer Sippe. Schließlich gelang es ihnen, den Rat und auch Graf Gerhard II. von Schauenburg, in dessen Gunst ich kurzzeitig stand, davon zu überzeugen, dass ich ein Betrüger bin. Denn die vermeintlich stumme Magd des Hauses stellte sich erstens als nicht stumm und zudem als verkleideter Bruder der Hexe heraus. Und obwohl ich nichts von alledem wusste, glaubte man mir nicht mehr!«
    »Großer Gott, das klingt verwirrend! Hat man Euch bestraft?«
    »In der Tat! Man sperrte mich ein bei Wasser und Brot und ließ mich in dem Glauben, dass man mich hinrichten lassen würde. Doch nach zehn Wochen der Gefangenschaft führte man mich schließlich dem Rat vor. Sie ließen mich tatsächlich gehen – unter der Bedingung, dass ich im Auftrag des Grafen Gerhard eine Bußpilgerreise nach Rom antreten würde. Das habe ich natürlich angenommen, genauso wie den Sack voller Münzen vom Grafen, der mir eine angenehme Reise beschert hätte, wäre ich nicht dir in Köln begegnet!«
    Kuno wurde ganz still. Erst jetzt wurde ihm klar, was er mit seinem Diebstahl eigentlich angerichtet hatte.
    Everard sprach weiter. »Du fragtest mich, warum ich nach Sandstedt reisen will. Nun hast du deine Antwort! Ich kann weder zurück zu Graf Gerhard nach Plön, noch kann ich nach Hamburg unter die Augen des Rates treten, noch kann ich nach Rom reisen. Mir bleibt keine andere Möglichkeit mehr, als in mein Heimatdorf zurückzukehren und zu hoffen, dass ich dort wieder als Dorfpfarrer willkommen bin.«
    Eine ganze Weile waren die Männer schweigend nebeneinander hergelaufen. Kuno hatte nicht mehr gewusst, was er sagen oder fragen sollte, und Everard hing seinen Gedanken nach. Er hatte in den letzten Jahren viel erlebt, und doch schien es jetzt so, als ob nichts von alldem je passiert wäre. In vielleicht einer Woche würden sie seine alte Heimat erreichen, und dann wäre er an dem Ort, in dem er geboren worden war und in dem er eines Tages sterben würde.
    Als das Tageslicht bereits wieder zu schwinden begann, kam ihnen eine Gruppe Reisender entgegen. Während ihres Gesprächs war ihnen gar nicht aufgefallen, dass ihnen seit dem Morgen niemand mehr begegnet war.
    »Seid gegrüßt!«, rief Everard den Männern und Frauen entgegen.
    »Seid gegrüßt, Vater!«, erwiderten die Reisenden.
    »Sagt, ihr guten Leute, wie weit ist es noch nach Münster? Werden wir unser Ziel heute noch erreichen?«
    »Nur, wenn Ihr es vermögt zu fliegen«, scherzte der Mann, der seiner Aussprache nach zu urteilen von weit her kam.
    Everard hatte regelrecht Mühe ihn zu verstehen. »Wie weit ist es denn noch?«
    »Wir haben die Stadt gestern vor Sonnenaufgang verlassen. Aber seid frohen Mutes, die Berge haben bald ein Ende.«
    »Das sind gute Nachrichten.« Everard hob die Hand und sprach: »Gottes Segen auf Euren Wegen!«
    »Das Gleiche wünschen wir Euch!«
    Kuno war nach dieser Kunde sichtlich entmutigt. Die Berge machten ihm nichts aus, doch hatte er fest damit gerechnet, der Stadt nah zu sein, und endlich mal wieder trocken schlafen zu können. »Wo werden wir diese Nacht verbringen?«, fragte er nach einiger Zeit. »Nach Münster werden wir es heute ja offenbar nicht mehr schaffen.«
    Everard schaute ihn von der Seite an und sagte: »Du hast freie Auswahl. Wir könnten unter diesem Baum schlafen oder unter jenem dort. Schier unzählige Möglichkeiten bieten sich, und du beklagst dich …!«
    »Macht Ihr Euch über mich lustig?«, fragte der Dieb leicht

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