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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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vom Gefühl des Glücks, brachte er sich außer Sichtweite und versuchte in der Menge unterzutauchen. Er sah sich ein letztes Mal um, dann erst erlaubte er sich ein breites Grinsen. Geschafft! Was für ein leichtes Spiel! Seine geruhsame Nacht war nicht mehr nur ein Traum, und dies ließ ihn beschwingt und freudig pfeifend seinen Weg durch die Menschenmenge fortsetzten.
    Kuno verließ den Marktplatz und bog in eine überfüllte Straße ein. Er meinte, der Kirche bereits nah zu sein, als er es wagte, einen genaueren Blick auf sein Diebesgut zu werfen. Zum Vorschein kam ein Säckchen aus feinstem Leder. Gerade wollte er es öffnen, als er plötzlich ein Huschen im Augenwinkel gewahrte. Hastig blickte er sich um und steckte die Münzen dabei wieder ein. Waren es tatsächlich die hellen Haare des Diebes gewesen, die seine Augen erfasst hatten? Seine erste Vermutung wurde schnell bestätigt – er folgte ihm!
    »So ein Mist«, entwich es ihm gepresst, während er seinen Schritt so schnell es ging beschleunigte. Das Gedränge war jedoch so dicht, dass weder er noch sein Verfolger rennen konnten. Als Kuno sich aber ein zweites Mal umdrehte, erkannte er das zornesrote Gesicht des Blonden nur wenige Mannslängen hinter sich. Mit einem schnellen Haken bog er in eine enge, menschenleere Gasse ein. Jetzt rannte er!
    Der Blonde rannte ihm hinterher und folgte ihm dicht auf den Fersen. Er wollte ihm eindeutig an den Kragen, und vermutlich war er im Vorteil und kannte sich in Münster aus.
    Kuno hingegen konnte sich nur noch vage erinnern, wo die Kirche ungefähr lag, in der Vater Everard sich aufwärmte. Erreichte er sie, dann wären sie zu zweit und könnten den Kerl in die Flucht schlagen. Drum jagte er die Gassen hinab wie ein Wahnsinniger.
    Die Verfolgungsjagd lief still ab. Wäre der Beklaute tatsächlich ein Lehrling oder Knecht gewesen, dann hätte er wohl laut geschrien, um die Bürger auf den Langfinger aufmerksam zu machen. Doch hier ging es darum, einem Dieb etwas abzunehmen, das selbst gestohlen worden war. Kein Rufen und kein Schreien war demnach zu hören, bloß das Keuchen und Japsen beider Männer.
    Aus den Augenwinkeln konnte Kuno erkennen, dass der Blonde ein Messer gezückt hatte. Es gab keinen Grund zum Zweifel, dass dieser auch vorhatte, es zu benutzen. Endlich konnte er die Kirche sehen. Sie war bloß klein und wahrlich schmucklos und hatte offensichtlich kaum Zulauf, doch für ihn war sie das ersehnte Ziel. Mit langen Schritten stürmte er auf den Eingang zu – immer noch dicht gefolgt von dem Beutelschneider, der nicht vorhatte, von ihm abzulassen.
    Kuno stieß die hölzerne Tür mit einem Ruck auf und schoss ins dunkle Innere der Kirche. Seine Augen waren vom Tageslicht und Schnee geblendet, sodass er zunächst nichts sehen konnte. Dann, wie aus dem Nichts, stand Vater Everard vor ihm, der sich als Einziger hier aufhielt. Fast wären die Männer zusammen zu Boden gegangen. Ohne lange Erklärungen befahl Kuno: »Schnell, hinter den Altar!«, und packte den völlig überrumpelten Everard am Arm.
    Gerade hatten die Männer sich versteckt, da betrat der Blonde mit dem Messer das Gotteshaus. Er verlangsamte seinen Schritt und blinzelte. Auch seine Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Doch er wusste den Mann, den er suchte, ganz in der Nähe – hatte er ihn doch eindeutig durch die Tür stürmen sehen! Drum ließ er sein Messer von Hand zu Hand wandern und tastete mit seinem Blick die Kirche ab.
    Kuno hatte sich einen Finger auf die Lippen gelegt, um den Geistlichen zu bedeuten, dass er still sein sollte. Zu seinem Glück hörte Everard dieses Mal auf ihn.
    Die langsamen Schritte des Diebes kamen unaufhaltsam näher. Bald würde er den Altar erreicht haben, und dann würde es unweigerlich zum Kampf kommen.
    Immer wieder blickte Kuno auf den Boden rechts und links neben sich. Jeden Moment erwartete er, die erste Stiefelspitze zu sehen, und genauso kam es auch. Sein Verfolger hatte wohl nicht mit zwei Gegnern gerechnet. Ehe er sich versah, und noch bevor sein Messer überhaupt zum Einsatz kommen konnte, wurde es ihm aus der Hand geschlagen. Eine kurze Rangelei später lag er auf dem Rücken, mit seiner eigenen Klinge am Hals. »Tja, Pech gehabt, Beutelschneider!«, stieß Kuno schwer atmend aus. »Jetzt hast du nicht nur deine Beute an mich verloren, sondern auch noch dein Messer.«
    Der überwältigte Langfinger regte sich nicht. Er taxierte bloß seinen Gegner; jeder Muskel angespannt und

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