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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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erwartungsfroh.
    Der Geistliche sammelte sich kurz, bevor er begann. Und schon nachdem er die ersten Worte gesprochen hatte, fühlte er sich seltsam erleichtert. »Es ist jetzt fünfunddreißig Jahre her, da habe ich mich auf eine Art Handel eingelassen, der mein ganzes Leben beeinflusst, und der mich schließlich dorthin geführt hat, wo ich heute bin.« Er sagte es mit einigem Wehmut, denn schließlich gab es nichts, auf das er heute stolz sein könnte.
    »Was für ein Handel war das?«
    »Wahrscheinlich kein Handel, den du dir gerade vorstellst. Ich habe ein Kind aufgenommen. Einen Jungen. Er war gerade geboren.«
    Kuno blickte neugierig. »Woher kam dieser Junge?«
    »Tja, das ist das eigentlich Spannende. Hast du schon einmal was von den Stedinger Bauernkriegen gehört?«
    »Nein, niemals.«
    Everard hatte nichts anderes erwartet. »Die Stedinger Bauern waren einst freie und stolze Männer und Frauen. Sie wurden vor vielen Generationen von weither angeworben, um das damals noch raue Land um meine Heimat urbar zu machen. Nachdem dieses Land immer reicher wurde, kam es zu Unruhen. Mächtige Grafen versuchten, die Bauern ihrer Freiheiten zu berauben. Sie bauten Burgen und führten schließlich Unterwerfungskriege. Einer dieser Grafen war Gerbert von Stotel. Auch er führte seine Ritter in jenen Krieg gegen die Stedinger.«
    Kuno hing so sehr an Everards Lippen, dass er sich dazu zwingen musste, ab und zu auf den Weg vor sich zu schauen. Er war schon einige Male über eine erhöhte Baumwurzel gestolpert oder in eine vom Schnee überdeckte Vertiefung getreten. »Und dann? Was ist dann passiert?«
    »Nun ja, obwohl Graf Gerbert mit Salome, einer Tochter des Grafen Otto I. von Oldenburg verheiratet war, verliebte er sich in eine Stedingerin. Diese Liebe durfte es selbstverständlich nicht geben, und genauso wenig durfte es das Kind geben, welches aus dieser Liebe entstanden ist. Da der Graf aber so tiefe Gefühle dieser Stedingerin gegenüber hatte, brachte er es nicht übers Herz, seinen unehelichen Sohn töten zu lassen, wie er es eigentlich hätte tun müssen, bevor seine eigenen Söhne alt genug waren, um es zu tun. Kein adeliger Nachfahre akzeptiert einen Bastard um sich! Also ließ der Graf einen Platz für sein Kind suchen – kein Kloster, wo er als Mönch leben konnte und keine Burg, wo er als Knappe dienen sollte, sondern einen Ort, an dem niemand jemals das Kind eines Grafen vermuten würde. Ein Dorf. Ein Dorf wie Sandstedt.«
    »Man brachte den Jungen also zu Euch, damit er für immer bei Euch lebte?«
    »Ja, genau. Ich musste versprechen, niemals jemandem etwas von dieser Geschichte zu erzählen, was ich auch bis heute nicht getan habe. Man entlohnte mich fürstlich für mein Versprechen, und ich sah und hörte nie wieder etwas von Graf Gerbert, bis er vor vierundzwanzig Jahren starb.«
    »Und nun wartet Euer Sohn auf Euch in Sandstedt? Sind die vielen Münzen also von dem Grafen gewesen?«
    »Nein, nein!«, wiegelte Everard ab. »Es ist nicht so wie du denkst. Pass auf, ich erkläre es dir: Als Walther – so heißt der Junge – vierzehn war, wurde sein Nachfragen immer drängender. Er wollte wissen, woher er kam – hatte ich als Geistlicher doch kein Weib, welches seine Mutter sein könnte! Eine Weile lang konnte ich ihn hinhalten mit der ausweichenden Erklärung, dass Gott ihn eines Tages zu mir geführt hatte und dass das alles war, was es dazu zu sagen gibt. Doch er gab sich immer seltener mit dieser Antwort zufrieden. Eines Tages dann kam ein Pilger zu uns ins Dorf, der sich verlaufen hatte. Sein Name war Thiderich. Er wollte nach Köln, und wir gewährten ihm Obdach für die Nacht. Als er weiterziehen wollte, bat ich ihn, Walther mitzunehmen. Er tat es, und ich sah meinen Ziehsohn ganze zwanzig Jahre nicht mehr wieder.«
    »Zwanzig Jahre? Wie kam es dazu? Wo war er in der Zwischen zeit?«
    »Ich hatte gedacht, dass er tot sei. Umgekommen auf den Wegen nach Köln. Doch ich irrte mich. Seine Reise verschlug ihn in Wahrheit nach Hamburg. Dort hatte er sich niedergelassen, und es war ihm sogar gelungen, zu Wohlstand zu kommen. Er war nun als Nuncius eines Holzhändlers und Ratsherrn tätig und hatte dessen Tochter geheiratet. Als ich davon erfuhr, hielt mich nichts mehr auf. Ich verließ Sandstedt und reiste nach Hamburg, wo ich Walther auch fand.«
    »Und dann? Was ist dann passiert?«
    »Nun, mein Ziehsohn nahm mich in seinem Haus auf, doch schon bald musste ich feststellen, dass er all meine

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